Bei der Verschlechterung der Gesetzeslage für trans Personen haben wir in der Vergangenheit häufig auf andere Länder wie Großbritannien, Ghana und die USA geschaut. Doch stehen wir nun in Deutschland einem Antrag gegenüber, welcher sich in dem internationalen Trend der sich verschlechternden rechtlichen Lage und medizinischen Versorgung von trans Personen einreiht.
Auf der 128. Jahreshauptversammlung wurde der Antrag1 zur Einschränkung der medizinischen Behandlung von minderjährigen trans Personen formuliert und von der Ärztekammer angenommen. Sollte dieser Antrag nun auch von der Bundesregierung angenommen werden, würde dies eine radikale Verschlechterung der Möglichkeiten zur Transition in Deutschland bedeuten.
Gutachten, Zwangstherapie, ewiges Verweilen auf Wartelisten und Unverständnis von Ärzt:innen. Das sind die Bedingungen, welche trans Personen momentan auf dem Weg zur und während geschlechtsangleichenden Behandlungen wie Hormontherapien, Operationen und Pubertätsblockern durchleben müssen. Umstände, welche nicht ohne Auswirkung auf die mentale Gesundheit von trans Personen passieren. Depressionen, Hoffnungslosigkeit, Rückzug und das Gefühl von Ohnmacht sind alles Gefühle und mentale Zustände, welche aus der schlechten Zugänglichkeit der geschlechtsangleichenden Behandlungen entstehen und in den schlimmsten, aber nicht seltensten Fällen, zum Suizid führen. So ist es nur für wenige trans Personen möglich, den Weg der Transition zu durchlaufen und dies häufig nur unter großer Schikane durch Ärzt:innen, Ämter und Krankenhäuser.
Doch mit der jetzigen miserablen Gesundheitsversorgung für uns trans Personen nicht genug.
Die Bundesärtzekammer fordert nun, dass jegliche medizinischen Geschlechtsbehandlungen für Minderjährige verboten und nur noch im Rahmen von “kontrollierter wissenschaftlicher Studien” stattfinden dürfen. Für uns bedeutet das, Selbstbestimmung über unsere Körper, aber nur wenn wir ihre Versuchskaninchen sind.
Der Antrag der Ärztekammer ist Satz für Satz faktisch widerlegbar, da sich dieser nicht an dem momentanen Stand der wissenschaftlichen Studien über mentale Gesundheit von trans Jugendlichen und den Erfolgen von geschlechtsangleichenden Behandlungen orientiert. Außerdem beinhaltet der Antrag eine völlig falsche Auslegung von positiven und negativen Ergebnissen einer geschlechtsangleichenden Behandlung, welche es scharf zu kritisieren gilt. Dieser Antrag ist keiner, welcher aus echter Sorge um “Kindeswohl” gestellt wurde. Nein, er ist ein Angriff auf alle trans Personen und als diesen Angriff müssen wir diesen Antrag auch anprangern.
In der Begründung des Antrages wird mehrmals auf die nicht vorliegende Evidenz von einem “nachhaltigen Nutzen” von geschlechtsangleichenden Behandlungengesprochen. So ist schon der erste Satz der Begründung faktisch falsch.
“Die aktuelle medizinische Evidenzlage besagt klar und eindeutig, pubertätsblockierende Medikamente, gegengeschlechtliche Hormonbehandlungen und auch geschlechtsverändernde Operationen (z. B. eine Mastektomie) verbessern bei Minderjährigen mit GI/GD nicht die GI-/GD-Symptomatik und auch nicht die psychische Gesundheit”.
Obwohl es wissenschaftliche Studien gibt2, welche beweisen, dass sich Hormonbehandlungen bei 13-24-Jährigen sehr positiv auf die mentale Gesundheit auswirkt, entscheidet sich die Ärztekammer, diese zu ignorieren. Unter 18-Jährige haben eine 40 % niedrigere Wahrscheinlichkeit von Depressionen und Suizidgedanken, wenn sie eine Hormonbehandlung beantragt und erhalten haben. Dazu kommt, dass LGBTI+ Personen in Deutschland dreimal häufiger von Depressionen und Burnout betroffen sind als die restliche Bevölkerung3. So will die Ärztekammer Behandlungen verbieten, welche aktiv zu der Verbesserung der mentalen Gesundheit von LGBTI+ Personen beiträgt.
Vor allem für Jugendliche ist es besonders wichtig eine Perspektive in der geschlechtsangleichenden Behandlung zu sehen, da eine sonstige Lebensperspektive häufig durch ein intolerantes Umfeld fehlt. So sind Behandlungen für trans Personen häufig lebensrettend und sollten diese fehlen, kann sich die Ärztekammer nicht von einer Mitbeteiligung an der Verschlechterung der mentalen Gesundheit von trans Personen freisprechen, welche auch zu vermehrten Fällen von Suizid führen wird!
Des Weiteren lehnt die Ärztekammer nicht nur bestehende wissenschaftlich Evidenz ab, sondern scheut sich auch nicht, transfeindliche Stereotypen zu bedienen. In dem Antrag heißt es, Minderjährige könnten kein “informiertes Einverständnis” zu “irreversible Eingriffe” geben. Dieses Argument stützt sich auf die Annahme, “trans-sein” sei bei den meisten Jugendlichen nur eine Phase, aus welcher sie im fortschreitenden Alter herauswachsen würden. Auch hier widersetzt sich die Ärztekammer jeglicher Beweisgrundlage zum Thema “detransitioning” und benutzt den sehr geringen Anteil von trans Personen, welche nach Geschlechtsangleichenden Maßnahmen diese wieder rückgängig machen wollten, um pauschal über alle Minderjährigen trans Personen zu Urteilen. Nur die wenigsten trans Personen, welche sich geschlechtsangleichenden Behandlungen unterziehen, äußern später den Wunsch die Eingriffe wieder Rückgängig zu machen.
Auch spricht die Ärztekammer davon, dass “[D]ie meisten Minderjährigen, die eine PB- und CSH-Gabe erhalten [haben]” sich später eine Geschlechtsoperation wünschen. So widerspricht sich dieser Bericht hier selber. Anscheinend hätten Jugendliche, wie vorher erwähnt, nicht die Fähigkeit ausdifferenziert über ihre Geschlechtsidentität zu urteilen und zu beweisen, dass es sich dabei nicht um eine Phase handelt, wie in diesem Bericht pauschal angenommen wird. Jedoch käme es im fortschreitendem Alter durch Geschlechtsdysphorie, also das Unwohl fühlen im bei der Geburt zugeteilten Geschlecht, aber zu weiteren Wünschen nach geschlechtsangleichenden Maßnahmen. Diese weiteren Wünsche schaffen eine weitere legitimierende Grundlage anzunehmen, dass es sich bei dem Wunsch nach Transition, um einen langfristigen Wunsch handelt. Und auch, dass die Ärztekammer dies in ihrem Antrag selber erwähnt, sollte eigentlich bedeuten, dass sie einsieht, dass die Behandlung mit Hormonen und Pubertätsblockern bei Jugendlichen eine berechtigte und wissenschaftliche Grundlage hat und bei den meisten trans Personen ein bestehender Wunsch nach Transition auch über das Jugendalter hinaus existiert.
Jedoch ist das nicht der Fall. Dass dieser Antrag jeden wissenschaftlichen Beleg, welcher nicht in ihr transfeindliches Weltbild passt, mit Füßen tritt, ist ein Beweis für uns, dass unsere Rechte auf medizinische Versorgung und Selbstbestimmung nicht sicher sind. Jedes unserer hart erkämpften Rechte kann uns sehr einfach wieder entzogen werden und das dürfen wir nicht zulassen! Ärzt:innen dürfen nicht unter dem Deckmantel des “Kindeswohl” gegen uns hetzen und Leben von trans Jugendlichen in Gefahr bringen. Denn sollte dieser Antrag wirklich angenommen werden, so stehen Ärztekammer und Bundesregierung in der Mitverantwortung für jeden Suizid von trans Personen in Deutschland. Dieser Antrag ist ein direkter Angriff auf uns LGBTI+ Personen und ein weiterer Stein in der Mauer des Rechtsrucks.
Die Rhetorik des Kinderschutzes ist eine, wie wir es schon vorher nicht nur hier in Deutschland, sondern weltweit als eine gesehen haben, die von rechten Politiker:innen und Kräften Missbraucht wird, um gegen LGBTI+ und auch Migrant:innen zu hetzen.
Wir dürfen uns nicht weiter darauf verlassen, dass uns die Regierung mit Reformen und kleinen Zugeständnissen wie dem neuen Selbstbestimmungsgesetzt schützt, sondern müssen unseren Kampf für Freiheit selber in die Hand nehmen.
Wahre Selbstbestimmung erkämpfen wir uns auf der Straße!
Organisiert euch, denn nur zusammen können wir diese Angriffe auf uns und weitere, die noch folgen werden, bekämpfen.
Begriffserklärungen
detransitioning = Eine Person, welche vorherige geschlechtsangleichende Eingriffe wie Hormontherapie oder operative Eingriffe wieder Rückgängig macht. Die Forschung auf diesem Gebiet ist häufig sehr undurchsichtig, da es bei dem Großteil von trans Personen häufig nicht aus Reue der vorherigen Transition zu “detransitioning” kommt, sondern mangelnde finanzielle Mittel oder ein unsicheres soziales Umfeld zu dieser Entscheidung führen.
Pubertätsblocker = Die Behandlung mit Pubertätsblockern (PB) führt zu dem Aussetzen der Pubertät, bzw. der Verzögerung von deren Einsetzen. Durch Pubertätsblocker bekommen junge trans Personen die Chance ohne die oft belastenden Effekte der Pubertät, wie Brustwachstum oder die Vertiefung der Stimme, mehr über ihre Geschlechtsidentität herauszufinden.
Quellen
1 https://www.queer.de/docs/aerztetag-pubertaetsblocker.pdf
3 DIW
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