Für all diejenigen, die noch Hoffnung auf ein Europa hatten, wo Menschenrechte und -würde geschätzt und gewahrt werden, dürfte ein Blick in Europas aktuelle Asylpolitik ein schmerzhaftes Erwachen sein. Dass die Festung Europa für Migrant:innen, gerade migrantische LGBTI+, alles Andere als ein sicherer Hafen ist, beweist die geplante GEAS Reform, die diesen Frühling von der EU verabschiedet wurde.
Was steht in der Reform?
GEAS steht für „Gemeinsames Europäisches Asylsystem“ und regelt, wie die EU mit Geflüchteten und Migrant:innen umgeht, welche in der EU Asyl beantragen wollen. Seit langem ist darüber in der EU gestritten worden. Im April stimmte das EU-Parlament dann für eine Reform, die die bereits vorher unzureichenden Schutzmaßnahmen und Asyl für Migrant:innen in Europa weiter abbaut.
Mit der neuen GEAS-Reform dürfen Flüchtende bei Asylverfahren mehrere Monate unter Haftbedingungen an den EU-Außengrenzen festgehalten werden, dort müssen sie bis zu einem halben Jahr verweilen, ohne zu wissen, ob diese Tortur mit einem bewilligten Asylantrag enden wird. Dies gilt für alle Geflüchteten, die aus einem Land kommen, in dem im Durchschnitt weniger als 20% der Asylanträge angenommen werden. Auch unbegleitete Minderjährige dürfen in diesen Lagern festgehalten werden, wenn diese ein „Sicherheitsrisiko“ darstellen – was genau das bedeuten soll, ist Ansichtssache der EU. Der Rechtsrutsch innerhalb der EU wird dafür sorgen, dass diese Kriterien auf immer mehr Geflüchtete zutreffen.
Das Gute an diesen Lagern für die EU? Leichtere Abschiebungen, weniger Rechtsschutz für Geflüchtete und es wird schwerer sein, hinter die Tore diese Lager zu blicken und zu berichten, was dort wirklich passiert.
Doch auch für denjenigen, die sich diesem grausamen Verfahren unterziehen, ohne zurück in ihre Heimatländer gezwungen zu werden, öffnet Europa noch lange nicht die eigenen Türen. Stattdessen sollen immer mehr Länder zu sogenannten „sicheren Drittstaaten“ erklärt werden. Geflüchtete, die eigentlich in die EU wollen, können dann statt in ihr Herkunftsland auch in einen dieser „sicheren Drittstaaten“ abgeschoben werden. Das heißt im Zweifel landen Geflüchtete in einem vollkommen fremden Land, in das sie nie wollten und in dem sie keinerlei Freund:innen, Verwandte oder sonstige Verbindungen haben.
Es eröffnet sich die Frage, was das europäische Parlament sich unter einem sicheren Drittstaat vorstellt. Als LGBTI+ sind wir in keinem Staat vor Heterosexismus geschützt, jedoch gibt es solche Länder, in denen unsere reine Existenz aktuell legal ist, und solche, in denen der jeweilige Staat unsere Identitäten kriminalisiert und uns verfolgt. Die Verfolgung von LGBTI+ und die systematische Gewalt an LGBTI+ sind dennoch kein Manko, wenn es darum geht, als sicherer Drittstaat erklärt zu werden.
Warum diese Reform?
Schon seit Jahren streiten sich die EU-Länder über den Ablauf von Asylverfahren und die Verteilung von Geflüchteten innerhalb der EU. Das hat verschiedene Hintergründe: Zum einen wurden die Länder an den EU-Außengrenzen lange mit der Ankunft von Geflüchteten allein gelassen und verlangten deshalb eine „gerechtere Aufteilung“ innerhalb der EU. Die anderen EU-Länder wollen aber nicht mehr Geflüchtete aufnehmen. Zum anderen, sind die Hetze gegen Migrant:innen und besonders gegen Geflüchtete ein zentraler Punkt der Agitation der Rechten und Faschist:innen, die in den letzten Jahren an immer mehr Einfluss gewonnen haben. Geflüchtete sind zum Sündenbock gemacht worden, ob für Kriminalität, niedrige Löhne, schlechte Bildung oder alle anderen gesellschaftlichen Probleme.
Den Weg frei gemacht für die aktuelle GEAS Reform haben nicht nur der Machtgewinn rechter und faschistischer Parteien in vielen EU-Staaten, sondern auch die Tatsache, dass nun, selbst die angeblich „fortschrittlichen“ Parteien wie die Grünen das Recht auf Asyl endgültig abgeschrieben haben. So konnte eine Mehrheit für die menschenverachtende Reform zustande kommen. Die bürgerlichen Parteien handeln dabei nach dem Motto „Wenn wir die Rechte Hetze kopieren, werden wir vielleicht doch wieder attraktiv für die Wähler:innen, die wir verloren haben“. Das ist natürlich ein Trugschluss, denn die Krise der bürgerlichen Parteien sitzt viel tiefer als dass eine Asylrechtsreform sie lösen könnte.
Dabei hat die EU ein widersprüchliches Verhältnis zu Migration: Auf der einen Seite ist sie angewiesen v.a. auf Arbeitsmigration, um den Arbeitskräftemangel in zahlreichen Branchen auszugleichen. Auf der anderen Seite, hindern die EU-Gesetze Migrant:innen immer wieder daran, überhaupt Arbeit aufzunehmen, und setzen auf Abschreckung und Ausgrenzung, statt auf Integration. Immer mehr Politiker:innen fordern deshalb eine Art „Greencard“ System, bei dem nur Migrant:innen mit bestimmten Qualifikationen einreisen dürfen, um in der EU zu arbeiten.
Abschiebung ist Mord!
Ein gutes und wichtiges Beispiel dafür, wie erdrückend die Lebensrealität als nach Europa flüchtende LGBTI+ Person ist, ist Ella Nik Bayan. 2015 floh die trans Frau Ella vom Iran nach Deutschland, doch auch hier wartete auf sie kein selbstbestimmtes Leben in Freiheit. Zwei Jahre lang wurde Ella kein Asyl gewährt, da die Gefahr, unter der sie als trans Frau in einem offenkundig LGBTI+ feindlichen Land steht, nicht anerkannt wurde. Ohne genehmigten Asylantrag stand Ella keine medizinische Versorgung zu, weshalb sie ihre Transition nicht fortsetzen konnte. Immer wieder erlebte Ella Nik Bayan in Deutschland LGBTI+ feindliche Gewalt, die sie letztendlich in einen Suizid trieb.
Letztes Jahr versuchte die lesbische Mariem, die aus Tunesien geflohen war, sich das Leben zu nehmen, nachdem sie von ihrer geplanten Abschiebung erfuhr. Von den zahlreichen anderen LGBTI+, die die Flucht nach Europa nicht überleben, die sich aus Verzweiflung im Angesicht der Abschiebung das Leben nehmen oder nach einer Abschiebung in ihrem Herkunftsland verfolgt werden, kennen wir die Namen und Gesichter nicht.
Ella und Mariem sind keine Einzelfälle, sie sind zwei vieler migrantischer LGBTI+ die auf ein besseres Leben in Europa hoffen und von den europäischen Staaten im Stich gelassen werden. Als internationalistische LGBTI+ verurteilen wir diese Reform. Sie interessieren sich trotz Pride Month Kampagnen und Toleranzbekundungen nicht für LGBTI+ Befreiung.
Auch wenn sie sich heute auf CSD´s zeigen, könnten sie uns morgen unsere erkämpften Rechte nehmen.
Den Kampf um LGBTI+ Befreiung in Europa und darüber hinaus, nehmen wir deshalb selbst in die Hand!
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