Pride Rebellion

Von Deutschland bis nach Kurdistan – Der Widerstand der LGBTI+ bricht alle Grenzen!

In den letzten Wochen und Monaten haben wir wieder mehr von Rojava gehört – sei es durch Bombenangriffe der Türkei auf Zivilist:innen und Krankenhäuser oder durch die vor kurzem in Rojava abgehaltenen Wahlen. Doch was ist Rojava eigentlich, wieso sprechen wir von einer Revolution und was hat das mit uns als LGBTI+ zu tun?

Rojava ist kurdisch und bedeutet so viel wie “Westen”. Mit Rojava bezeichnen die Kurd:innen, ein Großteil der Bevölkerung dort, den Westen Kurdistans – das Land der Kurd:innen. Kurd:innen leben zwar seit Jahrtausenden in diesen Gebieten, doch die Kolonialisten haben ihr Land in vier Teile – Nord-, Süd-, Ost- und Westkurdistan – aufgeteilt, entsprechend den heutigen Ländern Türkei, Irak, Iran und Syrien. In dem Gebiet, wo diese vier Länder aufeinander treffen, leben ca. 30 Millionen Kurd:innen, die seit Jahrhunderten unterdrückt werden und ihre Sprache, Religion und Kultur nicht frei ausüben dürfen. Deshalb ist nicht nur Unterdrückung, sondern auch Widerstand seit Jahrhunderten Teil der kurdischen Geschichte.

Nachdem der sogenannte “Islamische Staat” nach dem syrischen Bürgerkrieg 2011 das Machtvakuum in großen Teilen Syriens nutzen konnte, um sich dort auszubreiten – die syrische Armee und Regierung sind aus diesen Gebieten geflohen – waren es vor allem die Kurd:innen, die seit Jahrzehnten im Untergrund ihre Freiheitsbewegung aufgebaut und die Bevölkerung organisiert hatten, die den IS schlussendlich militärisch besiegt und die Gebiete wieder befreien konnten. 2013 wurde somit die Selbstverwaltung in einigen Teilen und später im Großteil von Nord- und Ostsyrien ausgerufen.

Mit der Rojava-Revolution kam nicht nur die Befreiung vom IS, sondern auch die durch die kurdische Freiheitsbewegung, Kommunist:innen und andere Revolutionär:innen erkämpften Freiheiten: Zum ersten Mal wurde sichergestellt, dass nicht nur Kurd:innen sondern alle Frauen sowie ethnischen und religiösen Minderheiten in der Region frei und sicher leben konnten. Nicht zuletzt wurde dieser Erfolg auch zu einem großen Teil durch die bewaffneten Frauen der kurdischen Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) erkämpft und wird durch Frauen-Sicherheitskräfte der Asayîş sowie Frauengerichte weiterhin aufrecht erhalten.

Die Rojava-Revolution in Nordostsyrien und ihre erkämpfte Selbstverwaltung – auch genannt Autonome Selbstverwaltung Nord- und Ostsyrien – ist für uns als antikapitalistische LGBTI+ ein Leuchtfeuer der Hoffnung. Sie hat uns gezeigt, dass Revolution, Frauenbefreiung und Gleichberechtigung aller Ethnien und Religionen möglich sind – auch im 21. Jahrhundert.

Doch wie ist die aktuelle Situation in Rojava und der Status der LGBTI+-Befreiung?

Leider ist die Realität, dass hier noch sehr viele Schritte gemacht werden müssen. So fortschrittlich die Revolution ist – man darf nie vergessen, dass vor nur wenigen Jahren vorher auf demselben Gebiet der IS geherrscht hat, und davor das syrische Regime. Menschen, die seit Generationen in Armut und in bäuerlichen Verhältnissen aufwuchsen, haben zum ersten Mal überhaupt die Möglichkeit, legal ihre Sprache zu sprechen. Frauen haben nicht nur das Recht auf körperliche Selbstbestimmung sondern werden von organisierten und bewaffneten Frauen beschützt, wenn sie gefährdet werden. Diese Gefährdungen – das Patriarchat und der Heterosexismus – haben sich natürlich nicht in Luft aufgelöst.

Auch wenn zum heutigen Zeitpunkt das Thema LGBTI+-Befreiung von vielen noch nicht als eine Priorität gesehen wird, ändert das nichts daran, dass LGBTI+ auch in Rojava existieren. Nicht nur das – auch unter den Revolutionär:innen, die sich der Revolution angeschlossen haben und sie zum Teil auch mit ihrem Leben verteidigt haben, finden sich viele LGBTI+. Die meisten von ihnen sind leider namenlos, viele konnten ihre Identität nicht offen ausleben. Doch auf zwei Genoss:innen wollen wir hier kurz im Detail eingehen: Ivana Hoffmann (Kampfname Avaşîn Tekoşîn Güneş) und Okan Altunöz (Îsyan Tolhildana Pirsûsê).

Ivana Hoffmann war eine lesbische deutsche Frau, deren Vater aus dem Togo stammte. Sie hat sich schon in jungen Jahren bei Young Struggle in Duisburg organisiert. Ihre Identität als lesbische Frau und ihr Geschlechtsbewusstsein waren maßgeblich für ihren Werdegang von einer Sozialistin zu einer kommunistischen Guerilla. Kurz vor ihrem Abitur schloss sie sich der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei Türkei/Kurdistan (MLKP) an und absolvierte eine Ausbildung zur Guerilla in den Bergen Südkurdistans, bevor sie nach Rojava ging und dort mit der Waffe in der Hand die Revolution verteidigte. Sie fiel im Kampf gegen den IS am 07.03.2015 in einem christlichen Dorf in der Gegend von Til Temir.

Okan Altunöz war eine kurdisch-alevitische trans Frau, deren Familie aus Sêwas stammte. Sie wurde in Ankara geboren und organisierte sich bereits im Alter von 16 Jahren. Sie erfuhr viel Polizeigewalt aufgrund ihrer Identität, welche sie in Hass auf das System umwandelte. Nach dem Massaker in Pirsûs (tr. Suruç) am 20.07.2015, wo 33 unserer Genoss:innen durch einen IS-Attentäter mit Hilfe des türkischen Geheimdienstes ermordet und unsterblich wurden, fasste sie den Entschluss, ihren Hass zu organisiertem Widerstand werden zu lassen und schloss sich ebenfalls der Partei Ivanas an. Ihr Kampfname bedeutet übersetzt so viel wie “Aufstand und Rache für Pirsûs”. Sie wurde in Rojava im Mai 2022 nach ihrer 3. COVID-Infektion unsterblich.

Die Geschichten dieser beiden Genoss:innen zeigen uns, dass LGBTI+ aktiver Teil der Rojava-Revolution sind, auch wenn sie bisher wenig sichtbar waren. Auch wenn LGBTI+ in Rojava aktuell noch nicht frei und offen leben können – sie existieren, sie kämpfen und sie verteidigen die Revolution mit ihrem Leben. Damit später einmal auch alle LGBTI+ in Rojava frei, offen und sicher leben können. Deshalb müssen wir schon heute die Rojava-Revolution unterstützen, denn nur wenn die Revolution vor dem Faschismus beschützt werden kann, kann die soziale Revolution und LGBTI+ Befreiung vollständig realisiert werden.

Als antikapitalistische LGBTI+ wissen wir, dass der Kampf gegen den Kapitalismus und der Kampf gegen Faschismus und Imperialismus Hand in Hand gehen. In Rojava findet aktuell ein solcher Kampf statt – die Revolution wird tagtäglich vom faschistischen türkischen Staat angegriffen. Doch warum eigentlich?

Der faschistische türkische Staat greift Rojava an, weil die Fortschritte Rojavas eine existenzielle Bedrohung für die Türkei darstellen. Unterdrückung von Frauen, LGBTI+, Arbeiter:innen und allen ethnischen und religiösen Minderheiten sind türkische Staatsräson. Wenn die Revolution von Rojava auf Nordkurdistan und die Türkei überschwappt, steht die Türkei und ihr faschistisches Regime vor dem Aus. Deshalb bekämpft sie Rojava mit den dreckigsten Mitteln.

Aktuell bekämpft die Türkei jedoch nicht nur Rojava, sondern auch Südkurdistan – den vom Irak okkupierten Teil. Hier sind in den hohen, harschen Bergen des Zagros- und Qendîl-Gebirges die Rückzugsorte, Hauptquartiere und Ausbildungsorte der Guerilla der kurdischen Freiheitsbewegung und verbündeter Organisationen. In diesen Bergen verwendet die Türkei verbotenes Giftgas, Drohnenangriffe auf Zivilist:innen, Flächenbombardierungen und andere Mittel, um mit aller Kraft die Verbindung zwischen der Rojava-Revolution und den Guerilla zu trennen, denn sie wissen, dass die Rojava-Revolution nicht ohne die Guerilla und ihre Rückzugs- und Ausbildungsorte überleben kann.

Und all dies wird selbstverständlich von Deutschland, NATO und EU mitfinanziert – die Türkei ist die zweitgrößte Armee der NATO und deutsche Panzer wurden an die Türkei verkauft, mit denen die Türkei in kurdischen Gebieten wie der kurdischen Hautpstadt Amed (tr. Diyarbakır) 2015 ganze Stadtteile vernichtet hat.

Um die Rojava-Revolution nun also zu unterstützen, ist es aber nicht notwendig, so wie Ivana oder Okan tatsächlich nach Rojava zu gehen. Nein, wir können, egal wo wir sind, hier und jetzt konkrete Schritte machen, um die Revolution zu verteidigen. Unser Widerstand gegen Kapitalismus, Faschismus und Imperialismus beginnt hier im imperialistischen Zentrum, und indem wir hier in Europa in unseren eigenen Städten gegen den imperialistischen Staat kämpfen, unterstützen wir gleichzeitig die Revolution in Rojava.

Verbinden wir unsere Kämpfe, so wie es unsere revolutionären Vorbilder schon immer getan haben, und kämpfen wir für eine Welt frei von Patriarchat, Heterosexismus und Kapitalismus – hier und überall!

Berxwedana LGBTI+ sinoran radike – Der Widerstand der LGBTI+ bricht alle Grenzen!


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