Pride Rebellion

Faschismus international: Wie der türkische Faschismus um sich greift

EM-Achtelfinale: Österreich gegen Türkei. Die türkische Nationalmannschaft gewinnt mit 2:1 durch zwei Tore von Merih Demiral. Nach dem Führungstreffer zum 2:1 jubelt der Spieler mit einer Geste, die viele aus der Schule als „Schweigefuchs“ kennen. Mittel- und Ringfinger auf Daumen gestützt, Zeige- und kleiner Finger nach oben gestreckt. Demiral jubelte aber nicht mit dem Schweigefuchs, sondern mit dem „Wolfsgruß“. Die Erkennungsgeste der „Grauen Wölfe“, einer türkischen, faschistischen Bewegung, die in Deutschland mit rund 12.000 Mitgliedern vertreten ist. Der Spieler verteidigt sich damit, den Gruß als Ausdruck des Stolzes für seine türkische Identität gezeigt zu haben. Als Konsequenz wurde er von der UEFA für zwei EM-Spiele gesperrt. Jegliche Bemühungen einer Strafe mithilfe von fadenscheinigen Rechtfertigungen zu entgehen, waren umsonst.

Nach dem Spiel in Leipzig am 2. Juli stellt sich für viele die Frage, wer denn eigentlich die faschistischen „Grauen Wölfe“ sind, was es mit dem Faschismus in der Türkei auf sich hat und was dagegen getan wird. Dafür schauen wir uns die Lage der Türkei und welche Ausmaße der Faschismus dort und hierzulande annimmt genauer an. 

Die Regierung in der Türkei

In der Türkei ist seit 2 Jahrzehnten die AKP (dt. „Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung“) in der Regierung vertreten und kontrolliert den Staat gemeinsam mit der ebenfalls faschistischen MHP (dt. „Partei der Nationalistischen Bewegung”). Die letzten Jahre nutzte das Regime rund um Ministerpräsident Erdoğan, um seine alleinige Vorherrschaft zu legitimieren und den Terror zu verstaatlichen. Die Gewaltenteilung von Judikative, Exekutive und Legislative wurde praktisch aufgehoben und erlaubt es die Kontrolle über den türkischen Staat zu zentrieren. Erdoğan kann praktisch, wie ihm lieb ist, neue Wahlen einberufen und Parlamente auflösen. Kontrolle hat das Regime auch bei Polizei und Militär und seine Macht nutzt es auchum gerichtliche Entscheidungen zu missbrauchen. 

Erdoğan steht de facto an der Spitze des Staates. Das politische System der Türkei wurde durch die Wahlen 2018 auf ein sogenanntes Präsidialsystem geändert. Das bedeutet, dass der Präsident, also Erdoğan, mehr Befugnisse hat als zuvor. Zum Beispiel Kontrolle über die Exekutive und erweiterte juristische Befugnisse, die mit dem Zieldie faschistische Herrschaft aufrechtzuerhalten regelmäßig missbraucht werden. Das System mit einem Präsidenten an der Spitze, welcher sich so viele Befugnisse illegitim gesichert hat, hat erhebliche Unterschiede zu anderen Staaten, die auch ein ähnliches System haben. In den meisten anderen Ländern werden diese durch Strukturen kontrolliert, um Machtmissbrauch zu reduzieren – in der Türkei hingegen gibt es solche Strukturen nicht und das Staatsoberhaupt hat es sehr viel einfacher seine Macht mit Gewalt zu sichern. 

Faschisten an der Macht

Die Macht über den türkischen Staat liegt bei den Faschisten, die gegenüber ihren Gegnern und Feindbildern offen Gewalt ausüben. Ein junges Beispiel der Gewalt gegen die politischen Gegner des türkischen, faschistischen Regimes sind die systematischen Angriffe auf kurdische Gebiete in denen, bei den Kommunalwahlen Ende März diesen Jahres, überwiegend die DEM Parti (dt. „Partei für Emanzipation und Demokratie der Völker“) die Mehrheit der Stimmen gewann. Gegen den demokratischen Willen des kurdischen Volkes wurden gewählte Bürgermeister:innen ihres Amtes enthoben und sogenannte Zwangsverwalter eingesetzt, die den Willen des faschistischen Regimes ausführen sollen. Darauf antworteten die Völker der Region mit Aufständen und Protesten und schrieben sich auf die Fahne so lange auf die Straßen zu gehen, bis sie die Zwangsverwaltung aufgehoben haben. Die Türkei versuchte diesen Widerstand mit brutaler Gewalt niederzuschlagen und ihre Zwangsverwalter zu schützen.

Erst vor Kurzem wurde der Abgeordnete Ahmet Şık der TIP (Arbeiterpartei Türkei) von einem AKP-Abgeordneten bei einer Rede, während einer von der TIP einberufenen, außerordentlichen Parlamentssitzung, angegriffen. In der Auseinandersetzung wurde auch die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gülistan Kılıç Koçyiğit (DEM Parti) von Alpay Özalan (AKP) geschlagen und erlitt eine Platzwunde. Angriffe wie diese zeigen die Versuche der türkischen Faschisten ihre Macht in allen Institutionen aufrechtzuerhalten. Dabei nutzen sie auch solche Mittel, wie den körperlichen Angriff im Parlament.

Andere politische Gegner, die sich z.B. für die kurdische Befreiung einsetzen, werden ebenfalls verfolgt. Auch Journalist:innen, die sich der Regierung kritisch gegenüber äußern, werden mundtot gemacht und inhaftiert. Weiter verbietet der türkische Staat seit Jahren Pride-Paraden, u.a. in İstanbul oder İzmir und geht mit schärfster, polizeilicher Gewalt dagegen vor. Pride-Teilnehmer:innen werden regelmäßig von der Polizei eingekesselt und festgenommen. Ebenfalls werden fortschrittliche Parteien und Organisationen verboten und jegliche, noch so kleine, Verbindung zu diesen als Grund genommen um politische Gegner auszuschalten. Politische Gegner sind alle, die für das faschistische Regime eine Bedrohung darstellen und das kapitalistische System herausfordern. Das Zieldie Macht zu erhalten und die nationalistische, chauvinistische Ideologie in alle Teile der Türkei zu verbreitenverfolgt der Staat mit allen Mitteln, die er findet.

Was hat das mit Deutschland zu tun?

Warum behandeln wir den türkischen Faschismus, wenn wir doch in Deutschland sind? An der Stelle erwähnen wir noch einmal die „Grauen Wölfe“ – diese sind neben der AfD die größte, rechtsextreme Organisation in Deutschland. Türkische Faschisten beziehen in der BRD-Vereine, Moscheen und Kulturzentren und sind unter vielen Türk:innen, die in Deutschland leben, bekannt. Nicht nur bekannt, sondern viele folgen der Ideologie der Grauen Wölfe. Unter türkischen Jugendlichen vermehren sich ihre Anhänger.

Die Verstrickung des deutschen und des türkischen Faschismus reicht historisch bis in die Vorkriegszeit des Ersten Weltkriegs und darüber hinaus. Unter den türkischen Faschisten, beziehungsweise den Turanisten, gab es Verstrickungen zu den Nazis. Die Nazis pflegten Beziehungen in die neue Republik der Türkeium Pläne einer Ausweitung des Deutschen Reiches strategisch zu eröffnen. So regnete es zum Beispiel Geldspenden für die „Freunde aus der Türkei“ des damaligen NS-Außenministers von Ribbentrop. Dann haben wir da noch Franz von Papen, der aus dem Geschichtsunterricht bekannt ist als kurzweiliger Vizekanzler ab 1933 und einer der leitenden Figuren bei der Machtübernahme der NSDAP. Neben seiner bekannten Rolle als Vizekanzler, war er danach Botschafter in Ankara, der Hauptstadt der Türkei. Für die Nazis waren die Türken interessant, da sie sich als Anhänger ihrer Ideologie verstanden und sie durch die Türkei großes Potential sahen um eine Ausweitung in den Osten zu verwirklichen. Während des Zweiten Weltkriegs war die Türkei darüber hinaus einer der wichtigsten Export-Abnehmer deutscher Waren, während die Nazis ab 1941 kriegswichtiges Chrom abnahmen, das der türkische Staat den Regionen Nordkurdistans entriss. Die Verbindungen zwischen den türkischen und den deutschen Faschisten hören aber nicht im Zweiten Weltkrieg auf, sondern werden in der Nachkriegszeit aufrechterhalten.

Die heutigen türkischen Faschisten, die in Deutschland die größte organisierte rechtsextreme Gruppierung bilden, die Grauen Wölfe, wurden mithilfe von NPD, CDU/CSU und dem BND (Bundesnachrichtendienst = deutscher Außlandsgeheimdienst)  aufgebaut. Die sogenannten „Idealisten“ (türk. „Ülkücüler“), wie sich die Anhänger der Grauen Wölfe selbst bezeichnen, befinden sich unter dem Dachverband der „Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland“ (Abk. türk.: „ADÜTDF“). Alparslan Türkeş, Mitbegründer der MHP, pflegte gute Beziehungen zu deutschen Faschisten und bürgerlichen Parteien in Deutschland. Er trifft Franz-Josef Strauß (CSU), Ministerpräsident Bayerns 1978, der Türkeş und seinen Anhänger:innen Unterstützung zusprach. Infolge gründeten sich etliche Vereine unter der Ideologie der Ülkücüler, darunter auch ADÜTDF.

Türkische Faschisten haben in Deutschland eine lange Tradition der organisierten Gewalt gegen Minderheiten und politische Gegner, vor allem Kurd:innen, Alevit:innen, LGBTI+-Personen, aber auch Kommunist:innen und Antifaschist:innen. Ein Beispiel für die brutalen Morde türkischer Faschisten in Deutschland ist Celalettin Kesim, ein türkischer Kommunist, der 1980 am Berliner Kottbusser Tor von türkischen Nationalisten erstochen wurde. Er war Teil eines Protestes gegen die drohende Militär-Diktatur in der Türkei. 1995 wird Sedat Kalan, ein kurdischer Jugendlicher, in Neumünster ermordet. 1999 wird Erol İspir von MHP-Faschisten, bzw. Grauen Wölfen, ermordet als er in seinem Stadtteil-Verein in Köln-Kalk Abends allein war und dort aufräumte. Hier hören die Angriffe türkischer Faschisten nicht auf. Dieses Jahr zum kurdischen Neujahrsfest Newroz, griffen türkische Faschisten Kurd:innen in Belgien an. Dabei wurden Autos zerstört und versucht das Haus einer Familie in Brand zu setzen. Oder eben als erst kürzlich Merih Demiral auf dem Fußballplatz den Wolfsgruß zeigte.

Widersprüche in der bürgerlichen Kritik

Auch wenn das Zeigen des Wolfsgrußes in Deutschland wieder eine Debatte um ein mögliches Verbot der faschistischen Grauen Wölfe nach vorne gestoßen hatte, so findet man auch Widersprüche. Zuerst einmal wird der Fokus der bürgerlichen Politik auf türkische Faschisten gelenkt, als würde es in Deutschland keine anderen Faschisten, schon gar keine deutschen Faschisten, geben. Wir wissen natürlich, so stimmt das nicht. Schauen wir uns doch nur Hanau an oder die Reichsbürger-Prozesse, die in Frankfurt am Main geführt werden. Da gibt es noch den NSU, seinen Nachfolger, den NSU 2.0, oder auch jugendliche Neonazis, die zum Beispiel Anfang Juni in Dresden den CSD gestört haben und dazu aufriefen ihn anzugreifen; vor Kurzem auch in Bautzen und in Leipzig. Ganz zu schweigen von der AfD, die unter großem Polizeischutz in Essen ihren Parteitag durchführen konnte und noch Ende 2023 an Tischgesprächen mit anderen deutschen FaschistenPläne zur Massenabschiebung von Migrant:innen schmiedete. 

Wir sehen, türkische Faschisten sind zwar zu 12.000 unter deutschen Dachverbänden der Ülkücüler organisiert, aber genauso geht die aktuelle Gefahr von deutschen Faschisten aus, die finanzielle Unterstützung durch Funktionäre erhalten und durch die AfD im Bundestag vertreten sind.  

Zweitens erkennen wir, dass die bürgerliche Politik in Deutschland das Aufsteigen faschistischer Regierungen in anderen Ländern verurteilt und kritisiert, während sie den Faschisten im eigenen Land ihre Freiheit lässt sich auszubreiten und mehr an Macht zu gewinnen. So wie es auf den CSDs in Bautzen und Leipzig der Fall war oder am Anfang der CSD-Saison in Dresden. Jugendliche Neonazis rufen zu organisierten Angriffen gegen LGBTI+ auf und statt, dass der Staat dazwischen geht und solche Gegendemonstrationen auflöst, stehen Polizisten nur zwischen den CSD-Teilnehmer:innen und den Faschisten. Solche Angriffe überhaupt zu verhindern, das sieht der deutsche Staat nicht als lohnenswert. 

Regime, wie das in der Türkei, werden insoweit öffentlich verurteilt, sodass sich ein reines Image geschaffen werden kann, während gleichzeitig Beziehungen zwischen der BRD und der Türkei gehegt und gepflegt werden. Zum Beispiel ist Deutschland ein enorm wichtiger Waffenlieferant für die Türkei, welche die deutschen Waffen und Technologien nutzt um kurdische Regionen zu bombardieren und den Wiederstand der kurdischen Bewegung zu ersticken.

Drittens steckt in der Kritik der bürgerlichen Politik auch Rassismus. Der richtige Anlass der Kritik gegen faschistische Gruppierungen wird verschleiert von einer rassistischen Einordnung gegenüber Türk:innen. Nicht alle Türk:innen sind Faschisten, genauso wenig sind alle Deutschen Faschisten.

Die Ideologie der Grauen Wölfe 

Im bürgerlichen Diskurs wird jedoch gerne mal davon abgelenkt, dass die Ülkücüler und andere türkische Rechte ein faschistisches Problem sind. Es ist kein „türkisches“ Problem, wie ein Podcast der Bundeszentrale für politische Bildung in Frage stellt; gerade dann nicht, wenn sich die Ideologie der Ülkücüler aus den Ansichten der Turanisten entwickelt hat. Die Turanisten, Vorgänger der Ülkücüler, waren begeistert von der nationalsozialistischen Ideologie und hatten gute Verbindungen mit den Nazis. Die Nazis pflegten auch ein Interesse an der engen Zusammenarbeit mit den türkischen Faschisten, da sich durch sie eine Ausweitung des Faschismus in den Osten eröffnen konnte. 

Ob Nazis oder Graue Wölfe, das Problem liegt nicht in der Herkunft, das Problem ist der Faschismus, der bekämpft werden muss. Wie am Beispiel der Verbindungen zwischen Ülkücüler und den Nazis zu sehen ist, inspirieren sich unterschiedliche Gruppen von Faschisten gegenseitig und arbeiten zusammen, wenn sie gemeinsame Ziele haben. Da ist es für die Faschisten erst einmal nebensächlich, wer sich an ihrer Seite befindet. 

Zusammen gegen den Faschismus

Für uns, als Antifaschist:innen, muss klar sein, gegen wen wir kämpfen. Daher muss unser Verständnis sein, dass wenn Faschist:innen vernetzt sind und zusammenarbeiten, wir gleichzeitig Bündnisse eingehen müssen, um gegen die steigende Gefahr erfolgreich kämpfen zu können. Die Gewalt der Faschisten steigt. Mit der Zuspitzung der Lage in der Türkei wird die Brutalität des faschistischen Regimes immer größer und skrupelloser. Was für einen Widerstand gegen den Faschismus in der Türkei, wie auch in Deutschland, notwendig bleibt, ist der Mut sich zu widersetzen und der Wille sich mit anderen Menschen zusammenzutun! Wir hören von überall, wie unterdrückte Völker von Faschisten massenweise ermordet werden, wie LGBTI+ von ihnen lebensbedrohlich verletzt werden oder Antifaschist:innen von ihnen verfolgt werden. Der Aufruf ist sich nicht kleinkriegen zu lassen und jeder Form des Faschismus den Kampf anzusagen, wo auch immer er sich zu verankern versucht und woher auch immer er kommt.