Pride Rebellion

Massenproteste gegen Rechts – Was bringen sie im Kampf gegen den Faschismus?

„Nie wieder ist jetzt“, „Menschenrechte statt rechte Menschen“ oder „Hass ist keine Meinung“ liest man in den letzten Wochen auf Demoschildern in ganz Deutschland. Regenbogenfahnen wehen zwischen EU-Flaggen, den Logos bürgerlicher Parteien, aber auch linker und anti-kapitalistischer Organisationen. 100.000 Menschen in Düsseldorf, 150.000 in Berlin, weitere Zehntausende in Kiel, Leipzig, Köln oder Stuttgart. Mindestens 850.000 Menschen sind am letzten Samstag in den verschiedensten Städten gegen den Faschismus, gegen die AfD oder einfach „für die Demokratie“ auf die Straße gegangen, in Metropolen genauso wie in Kleinstädten. Eine Massenbewegung, wie Deutschland sie seit den Hochzeiten der Klimabewegung nicht gesehen hat und die größten antifaschistischen Massenproteste seit langem.

Hoffnungsschimmer…

Vor dem Hintergrund der wachsenden faschistischen Gefahr kann sich die aktuelle Protestwelle wie ein Befreiungsschlag anfühlen. Das jährliche Gedenken an das Massaker in Hanau oder rassistische Polizeimorde wie der an Oury Jalloh oder Mouhamed Dramé bringen zwar Leute auf die Straße, aber der Aufstand, der im Anblick der rassistischen und faschistischen Gewalt eigentlich nötig wäre, bleibt aus. Die Hetze gegen Geflüchtete und Verschärfungen des Asylrechts wurden mit kaum mehr als  Empörung im Internet und kleineren Protesten beantwortet. Und die steigende Zustimmung für die AfD ließ viele zwar wütend und besorgt, aber auch passiv zurück. Die aktuellen Massenproteste sind ein Ausbruch aus dieser Passivität und setzen dem Narrativ der Faschisten, die „schweigende Mehrheit“ zu vertreten, etwas entgegen.

Auch für uns junge LGBTI+ können diese Demonstrationen ein Ort sein, an dem wir Gleichgesinnte kennenlernen und uns nicht länger hilflos fühlen gegenüber der rechten Hetze, die auch gegen uns betrieben wird. Zwischen Regenbogenfahnen, Protestschildern und „Ganz Deutschland hasst die AfD”-Rufen fühlen viele von uns sich wahrscheinlich sicherer als im Alltag auf der Straße. V.a. Wenn man nicht im Szene-Viertel einer Großstadt wohnt.

Wem im Anblick von Hunderttausenden Menschen, die gegen den Faschismus auf die Straße gehen, nichts besseres einfällt als zu nörgeln, dass Demos ja nichts bringen würden, hat den Sinn von Demonstrationen nicht verstanden. Demonstrationen setzen Menschen in Bewegung, die vorher ihre Meinung für sich behalten haben und stoßen Diskussionen an. Sie zeigen uns, dass wir nicht alleine sind und gemeinsam etwas schaffen können. Sie ermöglichen uns, Menschen kennen zu lernen, mit denen wir gemeinsam kämpfen möchten. Zwar werden Demonstrationen weder den Faschismus aufhalten, noch die LGBTI+ Befreiung erkämpfen oder den Kapitalismus überwinden, aber sie sind ein Mittel von vielen auf dem Weg dahin.

Also ist dann alles gut?

… oder Irrweg?

Auch wenn es positiv ist, dass es eine Massenbewegung gegen den Faschismus gibt, sollten wir die Proteste nicht blind feiern. Denn sie stellen sich zwar gegen den offenen Faschismus, aber die Befreiungsperspektive, die uns auf diesen Demonstrationen geboten wird, bleibt auf Rassismus, heterosexistische Gewalt und menschenverachtende Politik unter dem Deckmäntelchen der bürgerlichen Demokratie beschränkt.

Die EU-Fahnen auf Regenbogenhintergrund stellen zwar LGBTI+ innerhalb der EU ein Minimum an Rechten in Aussicht, aber sie stehen genauso dafür, dass unsere Geschwister abgeschoben werden und im Mittelmeer ertrinken. Die Vielfalt und Toleranz der Ampel-Regierung reicht maximal bis zum Kriegszustand, denn dann können Transfrauen auch nach dem neuen Selbstbestimmungsgesetz als „Männer“ in die Bundeswehr eingezogen werden. Trotz den „Nie wieder ist jetzt“ Rufen werden militante Antifaschist:innen, die Angriffe auf Nazis verübt haben sollen, verfolgt und sollen evtl. in das faschistisch regierte Ungarn ausgeliefert werden. Und das Lob auf die Demokratie hört spätestens da auf, wo die immer strengeren Versammlungs- und Polizeigesetze anfangen. Alles ganz nach dem Motto: Den Massenmord am Stacheldraht macht heut zum Glück ein Demokrat.

Die bürgerlichen Parteien, die sich jetzt als Brandmauer gegen den Faschismus darstellen und Vielfalt und Toleranz predigen, machen in der Realität das Gegenteil. Außerdem haben sie durch ihre Politik, die die Interessen der „einfachen Menschen“ – genauer gesagt: Die Interessen unserer Klasse und der Unterdrückten – gegeneinander ausspielen, dazu beigetragen, dass faschistische Parteien wie die AfD an Zulauf gewinnen.

Sicher, viele der Demonstrierenden sind ebenfalls unzufrieden mit der Politik der Ampel und es wäre zu kurz gegriffen von der Präsenz der bürgerlichen Parteien auf  den Charakter der Demonstrationen insgesamt zu schließen. Aber auch über SPD, Grüne und Co. hinaus gibt es eine klare bürgerliche Hegemonie auf diesen Demonstrationen. Bürgerliche Hegemonie bedeutet, dass Positionen, die eigentlich den Kapitalismus, die bürgerliche Demokratie und die Unterdrückung, die damit verbunden ist, tragen, sehr verbreitet sind und andere Positionen nicht wirklich zugelassen werden. Das sehen wir zum Beispiel daran, dass antikapitalistische, revolutionäre und palästina-solidarische Organisationen und Demoblöcke von Demoteilnehmer:innen wie Veranstalter:innen oft angegangen werden. Auch Kritik an der Polizei sorgte immer wieder für viel Gegenwind, obwohl diese seit 1990 nachgewiesenermaßen über 300 Menschen in Deutschland ermordete und ein Nazi Skandal dem nächsten folgt.

Der Feind unserer Feinde?

Viel entscheidender und viel problematischer ist aber noch, dass der Kampf gegen den Faschismus in aller Regel auf das Kämpfen für die bürgerliche Demokratie und das Verbot das AfD beschränkt wird. Wenn man diesen Aspekt ausklammert, könnte man noch argumentieren: Ob bürgerlich oder nicht. Gegen den Faschismus zu sein, heißt der Feind unseres Feindes zu sein und der Feind unserer Feinde ist unser Freund. Der springende Punkt ist aber, dass die bürgerlichen Parteien oder auch die Konzerne, die sich jetzt für Vielfalt positionieren, nicht einmal wirklich die Feinde unserer Feinde sind.

„Warum das?“ ist nun die naheliegende Frage. So haben wir doch alle gelernt, dass der Faschismus das Gegenteil der Demokratie ist. Blickt man nur auf die Staatsform, ist das naheliegend. Allerdings ist das, was unser menschliches Zusammenleben am entscheidendsten bestimmt, nicht die Staatsform, sondern die Art wie wir gesellschaftlich produzieren. Wie wir als Menschen miteinander in Beziehung treten, wie wir arbeiten und die Produkte, das Geld usw. untereinander ausgetauscht werden ist zwischen Demokratie und Faschismus vom Kern her gleich, aber komplett unterschiedlich z.B. zum mittelalterlichen Europa. Blicken wir also darauf, wie die Gesellschaft produziert, erkennen wir, dass der Faschismus und die bürgerliche Demokratie beide Staatsformen im Kapitalismus sind. Beide sind im Endeffekt ein Weg, die kapitalistische Produktion auf der Ebene des Staates zu organisieren und die Bedingungen, die der Kapitalismus zum Überleben braucht, zu sichern. Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht verwunderlich, dass immer dann zum Faschismus gegriffen wurde, als der Kapitalismus vor großen Problemen und Gefahren für sich stand.

Die Demokratie, die uns von den bürgerlichen Parteien versprochen wird, ist also immer nur einen Schritt vom Faschismus entfernt. Die einzige Möglichkeit, den Faschismus dauerhaft zu besiegen, ist es, die Bedingungen des Faschismus zu beseitigen, d.h. den Kapitalismus zu überwinden.

Den antifaschistischen LGBTI+ Kampf stärken

Wo stehen wir in dieser Gemengelage als junge LGBTI+? Wie sollten wir uns zu den Protesten verhalten?

Es wäre falsch, die Protestbewegung wegen der hier diskutieren Schwächen und Fehler abzuschreiben. Wie schon zu Beginn des Artikels diskutiert: Diese Massenbewegung kann auch für junge LGBTI+ ein Ort der Politisierung werden. Außerdem stimmt es zwar, dass die bürgerlichen Parteien und Konzerne, die die antifaschistischen Proteste gerade als ihre Bühne benutzen, kein Interesse an der Überwindung des Kapitalismus haben und so einer wirklichen Bekämpfung des Faschismus im Weg stehen. Das macht aber noch lange nicht alle, die von ihnen beeinflusst sind und ihren Argumenten glauben, zu unseren Gegnern.

Es wäre aber auch falsch, sich der bürgerlichen Hegemonie einfach hinzugeben und sich den Protesten anzupassen. Denn damit verlieren wir jede wirkliche Perspektive auf Befreiung und machen uns zu Unterstützer:innen eines Systems, das jeden Tag mordet, ausbeutet und zerstört.

Es gilt auf die Proteste und dort in die Offensive zu gehen! Nur so können wir zum einen die bürgerliche Hegemonie durchbrechen und zum anderen Jugendliche und v.a. junge LGBTI+ kennenlernen, die gegen den Faschismus kämpfen wollen. In vielen Städten wurden beispielsweise Blöcke innerhalb der Demonstrationen organisiert, die die Heuchelei der bürgerlichen Parteien und Konzerne offenlegen oder sich offen mit Palästina solidarisieren. Wir können Flyer verteilen und Schilder basteln, mit denen wir unsere eigenen Inhalte auf die Demonstrationen bringen. Und wir können mit unseren Freund:innen, Mitschüler:innen, Kolleg:innen oder den anderen Demonstrierenden diskutieren, was die Parole „Alle zusammen gegen den Faschismus“ eigentlich in der Praxis bedeuten muss.

Dabei gilt es aufzudecken, wo die bürgerlichen Parteien ihre eigene Politik schönreden, und die Verbindung zwischen Kapitalismus und Faschismus zu diskutieren. Die Proteste sollten aber auch ein Anlass sein, um sich mit der Frage zu beschäftigen, was Antifaschismus noch bedeuten kann, als auf die Straße zu gehen, und sich mit den Antifaschist:innen zu solidarisieren, die (angeblich) Angriffe auf Faschisten verübt haben und deshalb verfolgt werden. Denn Antifaschismus bedeutet auch, sich gegen Nazis zu verteidigen – und zwar gerade für uns als junge LGBTI+, denn wir sind eines der Hauptziele der Faschisten. Es bedeutet auch von denen zu lernen, die vor uns gegen den Faschismus gekämpft haben und dabei die Geschichten des Widerstands zu erzählen, die von der bürgerlichen Geschichtsschreibung gerne ausgelassen werden,  beispielsweise die der zahlreichen kommunistischen Widerstandskämpfer:innen, die von den Nazis ermordet wurden, oder die der jungen LGBTI+, die in Rojava gegen den sog. IS kämpften.

All diese Dinge finden sich auf den aktuellen Protesten nicht oder nur selten. Zum Teil sind sie auch ausdrücklich unerwünscht, wie etwa Kritik am Staat oder Polizei oder die Solidarisierung mit dem militanten Antifaschismus. Wenn uns diese Dinge auf den Demonstrationen fehlen, müssen wir im Endeffekt diejenigen sein, die sie dorthin bringen.

Letzlich dürfen wir aber auch nicht bei den Protesten stehen bleiben. Denn ja, Demonstrationen sind ein wichtiges Mittel des antifaschistischen Kampfes, aber sie sind kein Selbstzweck und sie werden definitiv nicht alleine die Faschisten in die Knie zwingen können. Hunderttausende Menschen sind viel, aber wenn wir nur einzeln für uns auf die Straße gehen und dann einzeln für uns wieder nach Hause, werden wir nicht langfristig etwas bewegen können. Wer organisiert den Block auf der Demonstration, um die Heuchelei der Regierung und der Konzerne offen zu legen? Wer macht weiter, wenn nicht mehr jede Woche Hunderttausende auf die Straßen gehen? Wer steht an unserer Seite, wenn die Faschisten uns auf der Straße angreifen oder an die Macht kommen und uns mehr und mehr unserer Rechte nehmen? Mit wem können wir diskutieren, uns weiterbilden und uns gegenseitig unterstützen? Wie können wir tatsächlich die Wurzel des Faschismus, den Kapitalismus, überwinden?

Alleine werden wir keine dieser Dinge schaffen. Sowohl gegen die akute Gefahr des Faschismus als auch im Kampf gegen den Kapitalismus und für ein selbstbestimmtes Leben brauchen wir Menschen, auf die wir uns verlassen können, die unterschiedliche Fähigkeiten einbringen, die auch in schwierigen Zeiten weitermachen und sich den sich verändernden Bedingungen anpassen können. Wir brauchen Klarheit darüber, dass der Faschismus im Kapitalismus nie vollständig besiegt werden kann, und einen Weg im gemeinsamen Kampf, der daran ausgerichtet ist. In anderen Worten: Wir brauchen Genoss:innen. Wir brauchen eine Organisation.

Lasst uns also diese Protestewelle gegen den Faschismus als Chance begreifen, aber auch über sie hinauswachsen!


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