Pride Rebellion

Triggerwarnungen – Ein sinnvolles Mittel im Kampf gegen Unterdrückung?

Die meisten von uns haben schon mal eine Trigger Warnung (TW) gesehen. Ob in einer Rede, vor einem Film oder auf Social Media, sie begegnen uns in vielen Teilen unseres Lebens.

Doch führen sie bei vielen auch vermehrt zu Verwirrung, denn auch wenn wir alle ungefähr wissen, wann TW verwendet werden, ist ihre Verwendung alles andere als einheitlich.

In diesem Artikel wollen wir eine Einordnung von TW für Traumafolgen geben und damit die Fragen beantworten, was überhaupt ein Trigger ist, wann TW in der Folge sinnvoll sind und wann sie uns eher im Weg stehen.

Was ist Trauma?

Trauma kann in gefährlichen und bedrohlichen Situationen entstehen, die durch Gewalt geprägt sind und eine lebensbedrohliche Lage darstellen. Die potenziell traumatisierende Situation tritt unvorhersehbar, plötzlich und akut auf. Die Kontrolle über die Situation wird der betroffenen Person entrissen. 

In der Folge reagiert der Körper damit, dass das bewusste Denken aussetzt und der Hirnstamm übernimmt, der normalerweise lebenswichtige Funktionen (bspw. Atmung) kontrolliert.

Innerhalb weniger Sekunden entscheidet sich so die Reaktion der Person. Unterteilen lässt sich dies in: totstellen, unterwerfen, Flucht und Kampf.

Welche Reaktion zu Tage tritt lässt sich sehr schwer voraussehen und besteht aus automatischen Verhaltensweisen. Um in so einer Situation die Wahrscheinlichkeit für den Kampf zu erhöhen, bedarf es beispielsweise langer und regelmäßiger Kampfsporterfahrung.

Im allgemeinen ist die Reaktion am wahrscheinlichsten, die das Gehirn als „nützlich“ einstuft. Also jene Reaktionen, die in ähnlichen Momenten „funktioniert“, also die Person durch die Situation gebracht haben.

Ob aus der erlebten Situation ein Trauma wird oder nicht, ist nicht von der Situation alleine abhängig. Dazu gehört unter anderem die psychische Verfassung vor und nach dem Ereignis, das Umfeld und die eigene Geschichte.

Normal ist, dass nach solchen Erlebnissen Erinnerungslücken auftreten, da das bewusste Denken in der Situation aussetzt oder der Körper Erlebnisse verdrängt.

Etwas verkürzt gesagt lässt sich jedoch sagen: Wenn die Person keinerlei Kontrolle über den Verarbeitungsprozess der erlebten Situation hat, sich also nicht bewusst erinnern kann, sondern willkürlich durch Flashbacks an die Situation erinnert, oder in die Situation zurückgeworfen wird, lässt sich von Trauma sprechen. Diese Flashbacks werden durch Trigger ausgelöst.

Was ist also ein Trigger?

Auch wenn die Person keine aktiven oder sehr eingeschränkte Erinnerungen an die Situation hat, speichert das Gehirn diese Situation und die mit der Situation verbundenen Reize. Eine Konfrontation mit diesen Reizen kann bei der Person eine Traumareaktion auslösen, dies ist also ein Trigger. Wir können verschiedene Arten von Triggern unterscheiden.

Sensorische Trigger, also Dinge die in der Situation mit den Sinnen wahrgenommen werden. Dazu gehören Dinge wie Gerüche, Geschmack, Kleidungsstücke, Farben, aber auch bestimmte Bewegungen oder Stimmen.

Eine weitere Kategorie potenzieller Trigger besteht aus Sätzen, die während der Situation gefallen sind. Dies kann man, da diese von außen kommen, im weitesten Sinne, als eine Unterkategorie der sensorischen Trigger sehen.

Dazu kommen die körpereigenen Trigger, also Körperreaktionen, die während der Situation aufgetreten sind. Hierzu kann das Schwitzen an bestimmten Körperstellen aber auch die Atmung oder Herzrasen gezählt werden.

Was passiert, wenn man „getriggert“ wird?

Kurz gesagt findet eine Traumareaktion statt.

Dabei handelt es sich um eine Reaktion, die die betroffene Person in ihrer Handlungsfähigkeit einschränkt oder ein bewusstes Handeln unmöglich macht. Diese Reaktion kann verschieden aussehen und aus körperlichen und psychischen Reaktionen bestehen, die die Person auf Grundlage eines Traumas zeigt und/oder der Person das Gefühl gibt, die traumatisierende Situation erneut zu erleben.  

Trifft die Person die Trauma Konfrontation unvorbereitet, kann die Person die eigene Reaktion oftmals nicht oder nur sehr schwer selbst steuern und muss mit einem hohen Kraftaufwand für Psyche und Körper die Kontrolle über sich selbst zurückerlangen.

Wann sind TW sinnvoll?

Als politische Personen ist unsere Handlungsfähigkeit und unser Kampf für Selbstbestimmung grundlegend für unsere Arbeit. Dazu gehört auch die Selbstverteidigung nach dem Erleben von (traumatischen) Gewalterfahrungen. Eine Traumareaktion kann beides einschränken.

Deswegen stellt sich die Frage: Kann man sich auf einen möglichen Trigger vorbereiten oder lässt er sich vermeiden?

Erinnern wir uns zurück an die beiden groben Überkategorien können wir nur Einfluss auf Trigger nehmen, die nicht körpereigen, also „von außen“ sind, und auch das nur begrenzt. Schauen wir uns zudem an, was alles potenziell mögliche Trigger sind, müssen wir erkennen, dass beinahe alles zu einem Trigger werden kann.

Wir würden allerdings auch eine zu kurz greifende Analyse vornehmen, wenn wir deshalb behaupten würden, man könne deswegen auf nichts achten, denn natürlich gibt es Trigger, die deutlich häufiger auftreten als andere.

Dies bezieht sich jeweils immer auf explizite Darstellungen oder Beschreibungen. Dabei geht es bei ersterem vor allem um sensorische Trigger, bei Beschreibungen um sprachliche.

Um das in die Praxis zu übertragen: Enthält eine Rede zum Beispiel eine explizite Beschreibung von einer sexualisierten Gewalterfahrung oder wird diese in einigen Szenen eines Films, der im Rahmen eines Filmabends gezeigt wird, dargestellt, so sind das Momente, die mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit Trigger auslösen.

Dies kann vermieden werden, wenn im Vorhinein auf den Inhalt hingewiesen wird, damit erstens der Inhalt die Angesprochenen nicht unvorbereitet trifft und zweitens Personen die Möglichkeit haben  sich von dem Ort zu entfernen.

Der Sinn solcher Warnungen kann nur bestehen, wenn die Warnungen möglichst konkret sind. Eine Warnung „TW: potenziell verstörende Inhalte“ hilft niemand, denn man weiß nicht was kommt.

Außerdem braucht es konkrete Nennungen des Zeitpunktes, um ein zeitweiliges Entziehen von der Situation möglich zu machen.

Also zum Beispiel: Im gezeigten Film gibt es explizite Darstellungen von sexualisierter Gewalt von Minute a bis b. Ober aber, im Laufe unserer Rede werden wir einen expliziten Erfahrungsbericht von sexualisierter Gewalt abbilden.

Durch dieses Mittel besteht die Möglichkeit, den Ort für den Zeitraum zu verlassen und danach Teil der politischen Auseinandersetzung sein zu können. Damit schaffen wir konkret, dass wir die Handlungsmöglichkeit der Personen aufrechterhalten und damit nicht nur ihr Wohlergehen im Blick haben, sondern den politischen Kampf der Person möglich machen und unterstützen.

Dabei ist wichtig zu erwähnen, dass eine Trigger Warnung nicht zwingend aus dem vorangestellten Begriff „Trigger Warnung“ besteht. Es geht konkret darum, auf einen Inhalt vorzubereiten. Keine zu TW durchgeführte Studie konnte einen Hinweis darauf finden, dass ein Trigger eher vermieden werden kann, wenn diese Bezeichnung vorne an gestellt wird.

Wann und wodurch verfehlen TW ihren Sinn?

TW sind richtig eingesetzt also durchaus sinnvoll, allerdings zeigt sich in ein steigender und inflationärer Gebrauch.

Nicht zuletzt lässt sich das damit erklären, dass es vielen bei der Ansage „Triggerwarnung…“ nicht tatsächlich um das Vorbeugen eines Triggers geht. Es geht vielmehr darum, dass das, was folgt, Unwohlsein und negative Gefühle auslösen kann.

Zunächst einmal ist eine solche Warnung ein sehr verständliches Bedürfnis. Wir alle erleben Gewalt, manche von uns wissen sehr genau, was es bedeutet, mit Trauma zu überleben. Dass wir also vermeiden wollen, dass es den Menschen um uns herum schlecht geht, und ihnen negative und schmerzvolle Gefühle ersparen wollen, zeugt von einem liebevollem Umgang.

Allerdings bewirken wir mit einem ungenauen Gebrauch von TW nicht nur unter Umständen genau das Gegenteil, sondern es ist auch allgemein so, dass sich in unserem Kampf die Auseinandersetzung mit Gewalt nicht vermeiden lässt.

Die häufigste Verwendung finden TW bei politischen Veranstaltungen verschiedener Art. Politik machen bedeutet, sich mit der Welt und den Umständen auseinanderzusetzen und aktiv gegen sie anzukämpfen. Wer gegen das System kämpft muss also nicht nur Gewalt benennen, sondern wird sie aller Wahrscheinlichkeit nach auch selbst erleben. Das ist die Realität. Wenn wir uns scheuen, sie auszusprechen, können wir sie auch nicht verändern.

Der Ursprung der Trauer, des Schmerzes oder auch der Angst, die gewisse Themen in uns auslösen, sind genau die Dinge, die wir angreifen müssen.  Der gemeinsame Kampf gegen die Gewalt macht uns stärker und hilft uns nicht nur,  den Schmerz, den wir empfinden, zu überwinden, sondern auch in Wut und Stärke umzuwandeln.

Wir dürfen uns also nicht von diesen Gefühle abhalten lassen, das auszusprechen, was die Realität ist.

Der kollektive Kampf, die kollektive Auseinandersetzung mit Gewalt und traumatischen Erlebnissen, die man vielleicht sogar selbst erlebt hat, kann außerdem etwas sehr bestärkendes sein und dabei helfen, aus dem Ohnmachtsgefühl, das oft mit Trauma einhergeht, auszubrechen. Das ändert natürlich erstmal nichts daran, dass man auch an traumatische Erfahrungen erinnert wird und dies sehr belastend sein kann, aber der kollektive Kampf dagegen zeigt, dass wir unserem Trauma und der Welt nicht einfach ausgeliefert sind, sondern Personen sind, die sich ihre Selbstbestimmung erkämpfen können. Außerdem bedeutet diese Auseinandersetzung auch, aus der Isolation auszubrechen, in das das Trauma die Person drängen möchte. Wir sind weder alleine mit den Gefühlen, die die Gewalt, die wir erleben, in uns auslösen, noch mit dem Kampf dagegen. Das wird immer unsere stärkste Waffe sein.

Für politische Veranstaltungen gilt also, wir können weder mögliche Trigger noch negative, traurige und schmerzhafte Themen von unseren Veranstaltungen verbannen, denn am Ende sind sie es, wogegen wir kämpfen. Lassen wir sie weg, stellen wir inidivudellen Bedürfnisse über den gemeinsamen Kampf um Befreiung. Und damit auch über all jene, für die wir Veränderung schaffen, damit sie diese Gewalt in der Zukunft nicht erleben müssen.

Die Konfrontation mit belastenden Themen zu vermeiden, die unter Umständen an traumatische Erlebnisse zurück erinnern, ist also weder möglich noch sinnvoll, wenn wir gegen Unterdrückung und damit auch die Ursachen von Trauma kämpfen möchten.

Wichtig ist dabei, Benennung ist nicht gleich explizite Darstellung. Ich kann zum Beispiel in einer Rede über ein Massaker die Brutalität des Blutbads benennen, es politisch einordnen und anprangern, ohne dass sehr explizite Beschreibungen notwendig sind.

Die Thematisierung von Gewealt ist auch je nach Situation anders zu handhaben. Beispielsweise kann in einem Einzelgespräch oder einer Kleingruppendiskussion genauer darauf geachtet werden, welche Konfrontationen die andere Person gerade stärken und welche sie eher zurückwerfen. Dennoch gilt auch hier, dass belastenden Themen nicht dauerhaft aus dem Weg gegangen werden kann.

Außerdem gilt, TW auf die nur eine Nennung folgt, sind nicht funktional und führen dazu, dass eine angemessene Verwendung und der Nutzen ein TW verloren geht. Auch hier ein Beispiel: viele von uns erinnern sich noch an die lesbische Tunesierin, die letzten Herbst direkt aus der Psychiatrie abgeschoben wurde. Nachdem sie einen erneuten Abschiebebescheid bekommen hatte, hat sie in ihrer Verzweiflung einen Suizidversuch begangen. Denn sie wusste, dass sie in ihrem Herkunftsland für ihre Identität ins Gefängnis gesteckt wird. Wenn ich im vorherigen Satz nun eine TW eingebaut hätte, hätte da praktisch gestanden: TW Suizid, eine Person hat versucht Suizid zu begehen.  Ein Mehrwert fehlt also. Ist allein die Erwähnung von Suizid selbst der Trigger, ist durch die das Wort „TW“ nichts gewonnen.

Schlimmer noch, wenn ich nun auf einer Veranstaltung bin, auf der TW in mehreren Reden genauso benutzt wird und dann folgt plötzlich auf die TW eine tatsächlich explizite Beschreibung eines Suizids. Dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Personen angemessen verhalten können, deutlich geringer. Die inflationäre Verwendung führt also zu Bedeutungsverlust.

Ein weiters, neueres Phänomen sind TW bei Dingen, die nicht „dämonisiert“ werden sollten. Diese Entwicklung geht daraus hervor, dass immer mehr Menschen ein verwaschenes Verständnis von TW haben. Eine Trigger Vermeidung also von dem Ziel, jedes negative Gefühl zu vermeiden, abgelöst wird.

So sieht man auf Social Media zum Beispiel immer öfter die TW „Essen“, die vor Bilder von Essen gesetzt wird. Natürlich gibt es Personen, die durch ihr Krankheitsbild eine negative Reaktion auf das Bild haben. Dennoch, Essen ist nichts, was wir aus unserem Alltag wegdenken sollten oder geschweige denn nur mit Ankündigung thematisieren können. Schließlich würde sich das in die Logik einer Essstörung eingliedern, die Essen als etwas schlechtes darstellt, und den Rückzug aus dem Leben und dem Kampf unterstützen.

Ein politischer Umgang mit TW

Wir können also festhalten: Richtig eingesetzt können Trigger Warnungen Traumareaktion verhindern oder abmildern. Sie ermöglichen damit, dass  Personen mit einem Trauma auch bei diesem Thema handlungsfähig bleiben und so in der Lage sind, weiter Teil des Kampfes zu sein.

Ein falscher oder inflationärer Gebrauch führt allerdings nur zu einer Verfälschung des Begriffs und zu einem Bedeutungsverlust, durch den die positiven Seiten Gefahr laufen, nichtig gemacht zu werden. Es gilt also gut abzuwägen, was das Ziel einer Trigger Warnung ist, um einen sinnvollen Gebrauch zu gewährleisten.

Unser Ziel muss es dabei immer sein, uns im Kampf um Befreiung zu stärken, und nicht, uns vor der gewalttätigen Realität dieses System zu verstecken. TW sollten Personen mit Trauma nicht zu mehr Rückzug auffordern, sondern ihnen im Gegenteil die Teilnahme am Kampf um Befreiung ermöglichen.

Das heißt also, ist es als Revolutionär:innen unsere Aufgabe, uns stets zur Seite zu stehen und alles in unserer Macht stehende zu tun, um unseren Genoss:innen und uns selbst zu ermöglichen, den Kampf um die Befreiung und gegen die Gewalt kämpfen zu können. Das bedeutet, die Handlungsfähigkeit unserer Genoss:innen zu stärken, besonders auch gegenüber belastender Themen und auch Trauma. Damit wir dem Patriachat und dem Kapitalismus als gestärktes Kollektiv entgegentreten können.


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