Culcheth, England, der 11. Februar 2023. Eine junge trans Frau namens Brianna Ghey wird heimtückisch von zwei 15-Jährigen in einem Park mit 28 Messerstichen ermordet.
Brianna war gerade mal 16 Jahre alt, als sie den Mordfantasien und der Frauen- und Transfeindlichkeit der beiden Täter zum Opfer fiel.
Brianna Ghey, von ihren Eltern als “stark, furchtlos und einzigartig” (1) beschrieben, dachte, sie würde in dem Culcheth Linear Park zwei Freunde treffen, als genau diese sie in eine hinterhältige Falle lockten. Die beiden Jugendlichen hatten über Wochen einen genauen Plan ausgeheckt, wie sie Brianna locken und töten würden. Ein grausamer Plan, welcher im Detail genau ausgeführt wurde. Die beiden Täter hatten schon vor ihrem Mord an Brianna vier andere potenzielle Opfer auf einer Liste festgehalten. Auf der Liste und in Whatsapp Nachrichten wurden zwei der Opfer von den beiden Mördern als ”Junge M” und “Junge E” bezeichnet. Sie richteten ihren Fokus aber auf Brianna, nachdem sie es nicht geschafft hatten, den Jungen E in eine Falle zu locken.
Nigel Parr, welcher Detective Inspector bei der Polizei von Cheshire ist, spricht davon, dass Brianna Opfer “von zwei Teenagern, die von Mord besessen waren,” wurde (2).
Die Polizei Ceshire’s sprach davon, dass sie “von Anfang an nicht glaubten, dass sie (Brianna) für ihr Transsein getötet wurde” (3). Laut Polizei und Gerichten soll das Motiv dieses Mordes die bloße Mordlust an sich gewesen sein. Diese Aussagen wurden auch mit der eben genannten Liste begründet, welche weitere Menschen als Mordziele enthielt und Brianna deswegen angeblich nicht wegen ihres Transseins ausgewählt wurde. Doch was heißt das?
Spielt Transfeindlichkeit in diesem Verfahren wirklich keine Rolle, die untersucht werden sollte?
Sehen wir uns die ausgetauschten Nachrichten der beiden Jugendlichen an, sind wir als LGBTI+ Organisation nicht zufriedengestellt mit der bisherigen Berichterstattung, den polizeilichen Aussagen und den Gerichten. Beide Jugendliche zeigten eine gewisse “Faszination” mit Brianna’s Transsein auf, welche sie in ihren Augen zu einem besonders interessanten Mordopfer machte. Dies ist zurückzuführen auf eine Fetischisierung von trans Personen und dem Darstellen von trans Personen als etwas Merkwürdiges und “anderes”. In den Chats der beiden wird außerdem eine klare Entmenschlichung Briannas deutlich, z.B. bezeichnete der nun für Mord verurteilte junge Mann Brianna als “Es”. Aus der Liste wurde also bewusst Brianna, die junge Transfrau, wegen ihres Transsein ausgewählt. Aber ein transfeindliches Motiv soll es nicht gegeben haben?
Wir sehen, dass der transphobe Charakter dieses Mordes außer Acht gelassen wurde. Die Tat der beiden Teenager fand außerdem in einem gesellschaftlichen Klima statt, in dem Hetze gegen Transpersonen neue Höhepunkte erreicht. Deswegen ist es von entscheidender Bedeutung, die Frage nach den gesellschaftlichen Hintergründen zu diesem Mordfall zu vertiefen und nicht nur die beiden Täter als individuelle Akteure zu betrachten.
Schauen wir tiefer auf die Hintergründe transfeindlichen Gedankenguts und schaffen einen klaren Zusammenhang zwischen den Aussagen der Täter, den Absichten des Mordes und den aktuellen Entwicklungen der Politik und Gesellschaft in Großbritannien.
“It’s what I’ve learned from people, how they talk about people, which I picked up” (4)
(Deutsch: Das ist, was ich von Leuten gelernt habe, wie sie über Leute reden, was ich aufgegriffen habe)
Einer der beiden Teenager, welcher aufgrund seines Alters nicht namentlich genannt wird, antwortete mit diesem Satz auf die Frage, warum er Brianna in den privaten Chats zwischen ihm der zweiten Täterin als “It” bezeichnete und fragte: “Is it a femboy or a tranny?” (Deutsch: Ist es ein femboy oder eine Transe?).
Woher kennt man diese Aussage, anderen einfach nachzureden, noch?
Ist das Aneignen von Verhaltensweisen und Gedankengut von den Bedingungen und Menschen um uns herum nicht eigentlich normal?
Ja, das ist es. Die Beeinflussung von dem, was um uns herum in der Welt und unserem sozialen Umfeld passiert, ist etwas, das für Menschen häufig ist. Der Junge wurde nicht mit der transfeindlichen Annahme, Brianna sei ein “it” geboren. Er wurde beeinflusst von der Transfeindlichkeit im Patriarchat, die sich aktuell auch in Großbritannien besonders zeigt. Ein gesellschaftliches Klima, welches trans Personen als verwirrt, etwas “Anderes” und Gefährliches darstellt.
Politiker sprechen von “Kinderschutz”, wenn es um das neue Gesetz an britischen Schulen geht, laut welchem Lehrer*innen die Wünsche von trans Schüler*innen, bei ihrem richtigen Namen und Pronomen genannt zu werden, nicht mehr respektieren müssen. Auch dürfen die Schulen nun ohne Einverständnis des Kindes die Eltern informieren, wenn ein Kind sich in der Schule als trans outet. Dies kann für viele trans Personen zu gefährlichen Situationen führen und lässt sie nicht nur in der Schule, sondern auch zu Hause ungeschützt. (5)
Die Rhetorik des „Kinderschutzes“ ist nicht nur in diesem Kontext präsent, sondern findet sich auch in anderen Teilen der Welt wieder, wie etwa in den USA. Dort wurde ähnlich von Kinderschutz gesprochen, als es um das Verbot von Drag Queens und geschlechtsbestätigender Gesundheitsversorgung für Jugendliche ging.
In den Schulen gibt es selten Aufklärungen über LGBTI+ und die Lage verschlechtert sich eher. Zum Beispiel darf in Florida in der Schule bis zur zwölften Klasse weder über Sexualität noch Geschlechtsidentität gesprochen werden, was Jugendlichen eine Auseinandersetzung mit dem Thema erschwert. Auf Social Media werden Inhalte zu LGBTI+ eher shadowbanned und sind durch Kinderschutzeinstellungen nicht zugänglich, während Hetze gegen LGBTI+ problemlos verbreitet werden kann.
Dies sind nur einige Beispiele für die zunehmenden Angriffe auf Transpersonen und LGBTI+ insgesamt, die auch einen Einfluss auf die Meinungsbildung von Jugendlichen haben.
Weltweit wird die Debatte um trans Personen zum Dreh- und Angelpunkt rechter, konservativer und faschistischer Kräfte, welche immer das gleiche Muster verfolgen. Seien es die Reaktionäre in den USA und Großbritannien, die von Kinderschutz sprechen, Putin und das “Gay Europe”, Islamisten oder deutsche Rechte, die von “Gendergaga” reden.
Die Hetze gegen trans Frauen kommt auch von sog. “trans exclusive radical feminists” (Terfs), die trans und cis Frauen gegeneinander ausspielen und in Großbritannien einen großen Einfluss auf die Debatte haben. In trans Frauen sehen sie nicht nur eine Bedrohung innerhalb des Sportes, Umkleiden und Gefängnissen, sondern auch eine Bedrohung der “weiblichen Existenz”. So werden Terfs, welche sich selber als Feministinnen und Frauenkämpferinnen sehen, selbst zu Unterstützerinnen der Faschisten. Ihr eigenes “Frausein” reduzieren sie im Kontext nach der Frage, was eine Frau sei, auf äußerliche Geschlechtsmerkmale.
Angst vor LGBTI+ Personen, Hass und heterosexistische Gewalt sehen wir also längst nicht nur bei den Großeltern, mit denen man an Weihnachten beim Essen streitet. Nein, es sind auch junge Leute, die diesen Hass aufnehmen, ihn weiterverbreiten und zu Tätern werden. Dass Faschisten mit diesem Thema nun weitere Unterstützer abgreifen und dies auch unter Jugendlichen, zeigt aber auch, was für eine Macht LGBTI+ Identität hat. Hätten sie keine Angst vor der Sprengkraft von LGBTI+, müssten sie LGBTI+ nicht leugnen, verbieten und ermorden.
Warum ist das so?
LGBTI+ stellen die älteste Beherrschung der Menschen durch den Menschen, die älteste Organisierung der Produktion und Reproduktion und die kleinste Einheit im Kapitalismus einfach nur durch ihre Existenz infrage. Die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die nur Mann und Frau kennt; Die aus Mann, Frau und Kindern bestehende Kleinfamilie, die das Eigentum durch Vererbung sichert und durch unbezahlte Hausarbeit die Arbeitskraft für den nächsten Tag und in der nächsten Generation wieder herstellt, funktionieren nicht mit LGBTI+. Wer soll in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung die männliche Erblinie fortsetzen? Wie sollen die Kinder gezeugt werden? Wer ist für die Hausarbeit zuständig? Bricht eine Transperson auch aus ihrer geschlechtsspezifischen Rolle aus? LGBTI+ existieren, aber durch ihre Identität stellen sie das Patriarchat in Frage, das die Grundlage des Kapitalismus und die Grundlage aller Produktionsweisen nach der Urgesellschaft (vereinfacht: der “Jäger und Sammler Gesellschaft”) bildet.
Aktuell gibt es im Kapitalismus zwei Wege, wie damit umgegangen wird: Teile der herrschenden Klasse versuchen, LGBTI+ innerhalb der Grenzen des Patriarchats und des Kapitalismus in die Gesellschaft zu integrieren, z.B. indem mit der Ehe für alle und bestimmte Lockerungen im Adoptionsrecht auch gleichgeschlechtlichen Paaren ermöglicht wird, eine bürgerliche Kleinfamilie zu gründen. Die anderen Antworten, die gerade mit den Faschisten an Aufwind gewinnen, sind die Leugnung und das Verbot von LGBTI+ Identitäten. Dabei machen sie aus den Gründen hinter ihrem Hass auf LGBTI+ kein Geheimnis: LGBTI+ zerstörten die Familie, die Männlichkeit und die natürlichen Aufgaben von Mann und Frau. Damit sind LGBTI+ international zu einem der Hauptziele der Faschisten geworden, sei das in den USA, in Russland, Deutschland oder der Türkei.
Vor all diesen Hintergründen ist es haltlos, Transfeindlichkeit beim Mord an Brianna auszuklammern. Es muss sich von dem Narrativ entfernt werden, dass es sich bei den Tätern lediglich um zwei mental kranke und verwirrte Einzeltäter handelt. Die Beschränkung der Tat auf einen isolierten Vorfall verhindert eine angemessene Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Problem der Transfeindlichkeit. Das haben schon die Ermittlungen und die mediale Berichterstattung deutlich gezeigt.
Doch was ist eine Forderung nach Aufklärung und Aufarbeitung ohne unseren vereinten Widerstand?
Um uns dem Hass und der Hetze gegen unsere Identitäten zu widersetzen, müssen wir gemeinsam handeln und uns organisieren. Fordern wir Gerechtigkeit für Brianna Ghey und für alle Menschen, die Opfer von LGBTI+ feindlicher Gewalt geworden sind. Jeder Angriff auf eine LGBTI+ Person ist ein weiterer Grund, seine Selbstverteidigung und die Verteidigung unserer Rechte in die eigene Hand zu nehmen. Verlassen wir uns nicht auf den Staat, uns zu schützen, denn er ist es, der den Faschisten die Tür offen hält und uns ins offene Messer laufen lässt.
Quellen:
- Großbritannien: Tod von Trans-Teenagerin Brianna Ghey erschüttert das Land – DER SPIEGEL
- Brianna Ghey: Mord an trans Mädchen – zwei Teenager in Großbritannien schuldig gesprochen – DER SPIEGEL
- Teenagers guilty of ‘senseless’ murder of transgender girl Brianna Ghey | Crime | The Guardian
- Why Brianna Ghey police quickly ruled out transphobia as motive | Crime | The Guardian
- Großbritannien: Lehrer müssen Wünsche von trans Schülern nicht respektieren – DER SPIEGEL