Pride Rebellion

Den CSD-Sommer zum Wendepunkt machen

Das Desaster von Bautzen: 700 stramme Nazis strömen in die sächsische Kleinstadt, um ihren “Gegenprotest” zum “Gender-Wahn” zu zelebrieren. Bautzen war nicht nur eine Demo, es war nicht nur ein CSD mit ein paar nervigen Störern, sondern es war ein politischer Moment. Bautzen war nicht “der Versuch einer Machtdemonstration” – es war eine Machtdemonstration von Faschisten. Nicht mehr und nicht weniger.

Nach Bautzen haben sie Selbstbewusstsein gewonnen: Dass 400 Nazis sich in die linke Hochburg in Sachsen, nach Leipzig, überhaupt herein trauen – das sieht man nicht alle Tage. Und ohne Bautzen wäre uns das wahrscheinlich erspart geblieben.

Als jugendliche LGBTI+ von Pride Rebellion waren wir in Bautzen, in Leipzig, Magdeburg und Zeitz auf den CSDs. Wir haben Momente erlebt, in denen wir den Nazis direkt gegenüberstanden und sie vom CSD wegschrien – und Momente, in denen die Polizei die Nazis freundlich eskortierte, damit ihnen niemand auch nur ein Haar krümmen kann, während sie hinter ihrem Rücken fröhlich den Hitlergruß machten. Für uns als LGBTI+ in Ostdeutschland wird es Zeit, auszuwerten und nach vorne zu blicken.

 “Ich rufe dazu auf, dass alle, denen unsere Demokratie am Herzen liegt, die CSDs gerade in Ostdeutschland unterstützen”, lässt der Queer-Beauftragte der Bundesregierung verlauten. Nach Leipzig ist er wohl auch gekommen – das wollen wir ihm lassen. Aber in all die Kleinstädte und Dörfer von Sachsen und Sachsen-Anhalt? In Magdeburg und Bautzen haben wir ihn bis jetzt nicht gesehen. An den Orten, an denen wir LGBTI+ wirklich Angst hatten, auch nur einen Moment alleine zu bleiben. Wo vorher wilde Gerüchte die Runde machten, dass die Nazis diesmal bewaffnet kommen und am Abend auf LGBTI+ Jagd machen würden. Aber die Verteidigung der Demokratie war Herrn Lehmann den Weg zum RE1 von Berlin nach Magdeburg wohl doch nicht wert.

Noch so ein großer Demokratieverteidiger der letzten Wochen war unser sächsischer Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Rechtsextreme in Bautzen hätten Menschen gestört, “die einfach nur eine Party feiern wollen”. Da hat wohl jemand gar nichts verstanden.

Ob ihr es wahrhaben wollt oder nicht: Der CSD ist politisch!

Der CSD geht zurück auf die Tradition des Stonewall Aufstandes in den USA, bei dem LGBTI+ die Polizei von den Straßen verjagten. Der CSD erinnert an diesen Aufstand von LGBTI+, an die Verletzten und Verhafteten dieser Zeit, an die Kämpfer:innen der Christopher Street. Der CSD war noch nie und wird nie “einfach nur eine Party” sein. Während Teile unserer Community sich von Leuten wie Kretschmer den Kopf verdrehen lassen, waren es dieses Jahr leider die Nazis, die uns die nackte Realität vor Augen geführt haben.

Der CSD mag eine Party sein für diejenigen, die sich nur in high-class Schwulenbars treffen und danach mit dem Taxi nach Hause fahren können. Aber für sehr viele von uns, für die, die in der Schule gemobbt, die auf der Straße beleidigt und von ihren Familien fertig gemacht werden, bedeutet der CSD einen politischen Kampf um unser Recht auf ein freies Leben. Aus dem Fenster des Sächsischen Landtags mag der CSD wie eine Party aussehen, aber von der Straße aus sieht er anders aus. Vielleicht würde es Kretschmer nicht schaden, nach der Wahl doch mal den Schritt zurück in das reale Leben zu wagen.

Unser Problem liegt jedoch nicht nur bei den Politiker:innen, deren Versprechungen genauso leer sind wie ihre “Solidaritätsbekundungen”. Das ist nicht weiter verwunderlich.

Aber was ist eigentlich in unserer Community los?

Wie kann es sein, dass die Organisator:innen des CSD Bautzen, während antifaschistische LGBTI+ am Ende des CSD eine Mauer zwischen dem Rest des CSD und den Nazis bilden, antifaschistische Parolen unterbinden wollen? Sollen die Nazis euch von euren Wägen schubsen, damit ihr merkt, dass sie eine reale Gefahr sind? Müssen sie euch die Partymusik abdrehen, damit ihr merkt, dass die Party vorbei ist und wir – wie so oft schon in unserer Geschichte – um unser Recht auf Leben kämpfen müssen?

Es ist offensichtlich: Hier in Ostdeutschland, wie auch international, ist eines der Hauptthemen der Faschisten die “Verteidigung der Familie”. Sie missbrauchen gezielt die “Verteidigung von Frauen und Kindern” und betreiben im selben Atemzug Hetze gegen uns LGBTI+, die eine Gefahr für die deutschen Kinder darstellen sollen. Die rassistischen Pogrome in England haben uns gezeigt, wie schnell der organisierte Hass eskalieren kann. Wenn wir keine englischen Verhältnisse wollen, dann müssen wir jetzt handeln. Aktuell versuchen die Nazis, die Straßen unserer Städte zu erobern. Jeder Meter in ihren Händen bedeutet einen Meter weniger Bewegungsfreiheit für uns.

Ist die Polizei auf unserer Seite?

Vielerorts wurde die Polizei für ihren “tollen Einsatz“ gelobt. Etliche Leute sprechen davon, dass der “massive Polizeieinsatz” CSDs wie in Leipzig erst möglich gemacht hätte.

Aber wir alle haben die Videos gesehen von Nazis, die hinter Polizeiketten und Hamburger Gittern unbehelligt Hitlergrüße zeigen. In Magdeburg hat die Polizei den antifaschistischen Gegenprotest zum Naziaufmarsch gekesselt, um den Nazis freies Geleit zu geben. Später sind sie jedes Mal angerannt gekommen, wenn Antifaschist:innen Nazis vom CSD verjagt haben – um die Antifas zu verhaften.

Die Polizei hat wieder einmal nichts anderes bewiesen, als dass sie professionell Nazis schützen. Wenn die sächsische Landesregierung noch weiter nach rechts rückt in der kommenden Legislaturperiode, dann wird auch die Polizeileitung schnell noch rechter. Sich als LGBTI+ auf die Polizei zu verlassen – auch nur irgendetwas von ihr zu erwarten – ist gleichzeitig geschichtsblind und realitätsfern.

Wie weiter?

Die Europawahlen, die Angriffe auf die CSDs, die Pogrome in England, das Attentat von Solingen: Dieser Sommer war ein unbarmherziger Weckruf für uns alle. Der Faschismus verbreitet sich in allen seinen Spielarten. Und die neuen faschistischen Bewegungen beschränken sich offensichtlich nicht auf die Parlamente. Während sie in den Parlamenten groß reden, lassen sie auf den Straßen rohe Gewalt sprechen.

In Ostdeutschland wächst gerade eine neue Nazi-Generation heran. Ein großer Teil der Nazis, die in den letzten Wochen die CSDs gestört haben, waren 15-jährige, kleine Möchtegern-Macker. Die meisten von ihnen hatten so viel Schiss, dass sie bei einem kleinen Schubser und einem bösen Blick schon ängstlich zurückgewichen sind. Wir sollten uns als Antifaschist:innen zusammenraffen, bevor diese Kinder größer und aggressiver werden.

Es gab viele Antifaschist:innen, die dieses Jahr zu unterschiedlichen CSDs gefahren sind, um sie gegen die Angriffe der Faschisten zu verteidigen. In den Straßen von Magdeburg, in den Zügen, aus denen die Nazis sich nicht mehr rausgetraut haben, haben sie bewiesen, dass auf sie Verlass ist.

Als Pride Rebellion rufen wir alle LGBTI+ auf: Wir können in unserer Community nicht mehr unter uns bleiben, sondern sollten einen Schritt zugehen auf die Leute, die sich jedes Sommerwochenende damit um die Ohren geschlagen haben, die Nazis von den CSDs fernzuhalten und ihnen einen Denkzettel zu verpassen: Die Straßen gehören immer noch uns. Wir müssen unsere Community politisieren. Und zwar nicht im Sinne der ganzen Parteien, die nichts als leere Worte hervorbringen, sondern gemeinsam mit all denen, die jeden Tag handfeste antifaschistische Arbeit machen – vor allem in Ostdeutschland. Wir müssen uns politisieren, uns stärker mit der antifaschistischen Bewegung zusammenschließen, damit auch wir lernen können, uns selbst zu verteidigen. Damit wir keine Angst mehr haben, wenn wir mit unseren Partner:innen über die Straße laufen, weil wir auf unser eigenes Selbstbewusstsein und unsere eigene Kraft vertrauen können.

Unser zweiter Aufruf richtet sich an die antifaschistische Bewegung: Wir können noch viel mehr, als wir in den letzten Wochen gezeigt haben. Es geht heute darum, unsere Städte gegen die Nazis, die jeden Tag an Selbstvertrauen gewinnen, zu verteidigen. Darum, Zustände der 90er Jahre zu verhindern.  Die Faschisten aus unseren Städten zu verjagen. Wir müssen die Gefahr der wachsenden faschistischen Bewegungen erkennen und unseren Anspruch erhöhen. Wir müssen alte Konflikte beilegen, um uns auf den politischen Kampf zu konzentrieren. Die LGBTI+ Community, aber genauso das ganze Land, braucht jetzt eine starke antifaschistische Bewegung, die sich zum Ziel setzt, die Nazis gemeinsam zu vertreiben, und die alles daran legt, dieses auch umzusetzen.

Mit diesen beiden Aufrufen wollen wir auch sagen: Lasst uns ganz konkret aufeinander zugehen. Lernen wir uns kennen, bilden wir Bündnisse, diskutieren wir miteinander und halten wir es auch aus, wenn wir unterschiedlicher Meinung sind. Solange wir uns auf der Basis begegnen können, dass weder SPD und Grüne noch die Polizei uns vor den Faschisten schützen werden, sondern dass wir politisch sein und uns selbst kollektiv verteidigen müssen.

Dieser Beitrag soll auswerten und nach vorne schauen. Wir erleben, dass gerade junge LGBTI+ hinterfragen und politischer werden. Es ist auch bitter nötig. Der CSD-Sommer geht zu Ende. Aber um unsere Existenz kämpfen wir jeden Tag im Jahr. Lasst uns diesen Sommer zu einem Wendepunkt machen und den Angriff der Nazis ins Gegenteil umkehren.


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