Pride Rebellion

Europawahl: Sieg der Faschisten oder Weckruf für den antifaschistischen Kampf?

Wahlgewinne der AfD in Deutschland, des Rassemblement national in Frankreich oder von Fratelli d’Italia in Italien. Die Ergebnisse der Europawahl zeigen uns wie die Faschisierung in Europa immer weiter voranschreitet. In einigen Ländern hat diese Wahl sogar zu Regierungskrisen geführt, so löste Macron das französische Parlament auf und der belgische Premierminister verkündete seinen Rücktritt. Doch welche Schlüsse können wir aus der Europawahl ziehen?

Grundsätzlich können wir in Deutschland einen starken Anstieg der AfD beobachten, so wurde sie in Ostdeutschland fast flächendeckend zur stärksten Kraft. Im Westen erreichte sie fast überall, hinter der CDU/CSU, den zweiten Platz. Gerade auch bei jungen Menschen, v.a. jungen Männern war die Bereitschaft die AfD zu wählen hoch. Und das alles trotz der groß angelegten bürgerlichen Kampagne gegen rechts zu wählen und den großen Anti-AfD Massenprotesten Anfang diesen Jahres. Doch trotz des vereinten Kampfes der bürgerlichen Parteien haben sie es nicht geschafft das Anwachsen der faschistischen Bewegung zu stoppen. Insgesamt lässt sich auch erkennen, dass die Bedeutung klassischer Parteien immer weiter schrumpft, vor allem sozialdemokratische Kräfte verschwinden immer mehr und es gibt einen Aufstieg von Parteien, die um bestimmte Persönlichkeiten ausgerichtet sind. So sehen wir das BSW um Sahra Wagenknecht oder die niederländische PVV um Geert Wilders, welche das Erstarken eines neuen Parteienmodells klar aufzeigt. Die Krise der bürgerlichen Massenpartei ist damit besiegelt.

Besonders die hohe Bereitschaft vieler Jugendlicher die AfD zu wählen stellt eine Tendenz dar, die aus verschiedenen Gründen zustande kommt. Das Gefühl der Enttäuschung über das Scheitern der Regierungsparteien, das Bewusstsein darüber, dass die ökologische Krise, die ökonomische Krise und die soziale Krise in diesem System nicht gelöst werden können und dass die Zuspitzung der Kriege weltweit weiterschreitet, zeigen klar den Krisencharakter des Kapitalismus. Besonders junge Männer werden vom Faschismus angezogen. Das ist auch kein Wunder, denn die Faschisten versprechen jungen Männern Macht, Dominanz und Kontrolle über Frauen und Familie. Eine kleine Insel der Herrschaft auch für Männer, die sonst gegenüber Chef und Staat nichts zu melden haben. Die Faschisten stellen die männliche Herrschaft nicht infrage, sondern stärken sie.

All das machen sich die faschistischen Kräfte in ihrer Argumentation zunutze. Sie schaffen es mit ihren Positionen die gesamte bürgerliche Parteienlandschaft vor sich herzutreiben und prägen mit ihrem Auftreten, besonders in den Sozialen Medien, den gesamten gesellschaftlichen Diskurs.

Welche Auswirkungen hat das für LGBTI+?

Gerade die faschistischen Parteien in Europa haben sich neben Migrant:innen auch LGBTI+ als ihr Hauptziel ausgemacht. Bei ihnen wird offen rassistische und LGBTI+ feindliche Hetze betrieben. Dies spüren wir auch auf der Straße, denn die Angriffe durch Faschisten nehmen immer weiter zu. Doch auch die bürgerlichen Parteien zeigen immer häufiger, dass sie uns nur als Spielball für ihre Interessen sehen. Die Faschisierung in Europa lässt alle bürgerlichen Parteien nach Rechts rücken, so können wir mit Sicherheit davon ausgehen, dass schon bald neue LGBTI+ feindliche Gesetze zu erwarten sind und die Angriffe auf uns zunehmen werden. Heute lassen sich Grüne, SPD und Co. in Sachen Asylpolitik von den Faschisten vor sich hertreiben. Wann das auch LGBTI+ trifft, ist eine berechtigte Sorge.

Wir erleben außerdem, wie die Gewinne der Faschisten in den Parlamenten, ihre Präsenz in den Medien und auf Social Media, auch die Faschisten auf der Straße beflügelt. Die faschistiche Gegendemonstration gegen den CSD in Dresden ist ein Beispiel für dieses wachsende, faschistische Selbstbewusstsein. Mehrere CSDs sollen in diesem Jahr mit stärkerem Polizei”schutz” organisiert werden, um faschistische Angriffe abzuwehren – die natürlich trotzdem kommen werden. Hetze und Beschwerden gegen LGBTI+ Zentren, Kürzung von Geldern oder einfach die Angst, in der eigenen Stadt oder im eigenen Viertel sich offen als LGBTI+ erkennen zu geben, dominieren schon heute das Leben vieler LGBTI+ Personen und Initiativen.

Wir müssen anerkennen, dass die Faschisten in den Parlamenten, auf den Straßen und auch in den Köpfen der Bevölkerung ihre Macht ausbauen. In einigen Teilen Deutschlands sind sie eindeutig die einflussreichste Kraft. Diese Realität ist erschreckend und eine direkte Bedrohung für uns und unsere LGBTI+ Geschwister – vor allem aber sind sie ein Aufruf, für unsere Freiheit zu kämpfen.

Wählen gegen den Faschismus?

Was tun gegen den Faschismus? Die offensichtliche Antwort lautet: Den antifaschistischen Kampf stärken. Das haben die verschiedensten Organisationen und Bündnisse vor und nach der Europawahl versucht. Aber was genau bedeutet das? Und gibt es überhaupt den einen Antifaschismus?

Wir können grob zwischen zwei Arten von Antifaschismus unterscheiden: Es gibt einen Antifaschismus von oben. Den von SPD, Grünen oder FDP, einen den selbst manche Konzernchefs predigen. Einer der den Faschismus in der bestehenden Ordnung, im Kapitalismus bekämpfen, die faschistischen Kräfte an den Wahlurnen zurückdrängen und faschistische Terrorgruppen durch Polizei und Gerichte in Schach halten will. “Wählt nicht die AfD!” – das ist heute sein Kern. Damit hat dieser bürgerliche Antifaschismus von “oben” eine historisch hohe Wahlbeteiligung bei den Europawahlen geschaffen – aber im Endeffekt wenig gegen das Erstarken der Faschisten tun können. Im Endeffekt verfängt er sich in seinen eigenen Widersprüchen: Von Menschenrechten sprechen, aber zum eigenen Machtgewinn unmenschliche Kriege unterstützen. “Gemeinsam gegen Hass und Hetze” schreiben, aber im Großen Stil abschieben wollen. Wohlstand für alle versprechen, aber Sozialleistungen kürzen und die Leute länger schuften lassen. Der bürgerliche Antifaschismus, der Antifaschismus von oben, verteidigt die Macht und Privilegien der herrschenden Klasse und fasst die Grundlage, auf dem der Faschismus entsteht, den Kapitalismus und das Patriarchat, niemals an.

Für uns als proletarische LGBTI+ heißt der bürgerliche Antifaschismus außerdem, immer von der Gunst der Herrschenden abzuhängen. Wir haben keine eigene Macht im Staat oder in der Produktion, sondern müssen hoffen und betteln, dass uns unsere Recht gegeben werden.

Unser Antifaschismus ist ein Antifaschismus von unten. Das heißt ein Antifaschismus, den wir als LGBTI+ zusammen mit den Arbeiter:innen, Frauen, Migrant:innen und allen Unterdrückten gemeinsam tragen. Und der die Grundlage, auf dem der Faschismus heute entsteht, über Bord wirft. Das heißt abstrakt natürlich den Kapitalismus. Aber ganz konkret heißt es die Armut, die Angst vor der Zukunft, die Ausbeutung auf dem Arbeitsplatz, die Tatsache, keine Mitsprache und Entscheidungsmacht zu haben, usw., all das was heute unsere Klassengeschwister in die Arme der Faschisten treibt, zu beseitigen.

Das bedeutet auch, nicht um unsere Rechte als LGBTI+ zu betteln, sondern sie real zu sichern. Hängen wir davon ab, dass die von Faschisten durchsetze Polizei unseren CSD schützt, oder können wir das bald selbst? Hängen wir davon ab, dass eine Regierung uns Fördergeld für unser LGBTI+ Jugendzentrum gibt, oder können wir uns selbst finanzieren? Warten wir darauf, dass ein Gericht LGBTI+ feindliche Gewalt verfolgt, oder tun wir das selbst? Lassen wir die Leute zu LGBTI+ denken, was sie wollen, oder arbeiten wir aktiv daran, LGBTI+ feindliche Einstellungen zu verändern?

Antifaschismus von unten oder revolutionärer Antifaschismus bedeutet im Kern zu entscheiden: Ich möchte gegen den Faschismus kämpfen, aber ich lasse mich nicht vor den Karren der Herrschenden spannen, denen es mehr um ihre eigene Macht geht als um mein Leben und das Leben meiner Geschwister.

Es reicht also nicht, einfach wählen zu gehen oder eine der großen Parteien zu unterstützen. Revolutionärer Antifaschismus setzt auf vielen Ebenen an: Kampf um die Straße, Veränderung von faschistischen und LGBTI+feindlichen Einstellungen, Selbstverteidigung gegen faschistische Gewalt, Überwinden von Angst und Vereinzelung. Dabei haben wir den Anspruch, die Gesellschaft zu verändern und gerechter zu machen, um dem Faschismus seine Grundlage zu nehmen.

Kampf gegen den Faschismus, Kampf um unsere Existenz

Die Aufgabe, diese abstrakten Ziele in einen erfolgreichen Kampf auf den Straßen, in den Schulen, Unis und Betrieben umzusetzen, sind groß, aber im Endeffekt ist sie unvermeidlich. Als LGBTI+ standen wir immer vor der Frage: Verleugnen wir unsere Existenz oder kämpfen wir dafür? Also lasst uns dafür kämpfen!

Wir sehen auch, wie die Europawahlen und die faschistische Bedrohung insgesamt die antifaschistische Bewegung von bürgerlich bis revolutionär dazu motiviert zu handeln: Massenproteste gegen den Faschismus in Frankreich, CSDs in sonst von Faschisten kontrollierten Kleinstädten, Ankündigen für riesige Proteste gegen den AfD-Bundesparteitag. Diese Entwicklungen können uns Hoffnung geben. Noch mehr sind sie aber ein Auftrag an uns: Lasst uns Teil dieser antifaschistischen Bewegung sein und lasst uns dafür sorgen, dass diese antifaschistische Bewegung sich nicht vor den Karren der Herrschenden spannen lässt, sondern eine wirkliche Befreiungsperspektive für uns bringt.


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