Pride Rebellion

Pinkwashing und LGBTI+-Gewalt in Mexiko: Der Fall Ociel Baena

Mexikos erste offen non-binäre Richter:in, Ociel Baena, wurde Mitte November tot in deren Wohnung aufgefunden. Erst vor ungefähr einem Jahr hatte Ociel deren non-binäre Identität sichtbar und das Amt als „Magistrade“ angenommen – die höchste Position in einem mexikanischen Verwaltungsgericht.

Damit war Ociel auch in die Öffentlichkeit getreten, postete regelmäßig Fotos von sich mit Stöckelschuhen und Regenbogenfächern im Gerichtsbüro. Auf Social Media erhielt Ociel in den letzten Monaten immer mehr Drohungen und transfeindliche Angriffe. Gleichzeitig war Ociel für viele Menschen eine Figur des Widerstands gegen das binäre Staatssystem. Nach der Bekanntgabe des Todes betonten viele Medien Ociels politische Erfolge für die Rechte von LGBTI+: In einem Rechtsstreit hatte Ociel im Februar eine geschlechtsneutrale Option im Stimmrechtsnachweis erkämpft (der in Mexiko auch generell zur Ausweisung verwendet wird). Kurze Zeit später wurde Ociel Baena auch als erste Person in Mexiko ein Reisepass mit nicht-binärem Geschlechtseintrag ausgestellt.

Rechtlicher Erfolg oder Aushängeschild?

Die mexikanische Regierung hatte diese Ausstellung sehr gezielt genutzt, um sich als progressiv und inklusiv zu vermarkten. Mit großem Presseaufgebot wurde der Pass am IDaHoBIT übergeben (Internationaler Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit). Sicherlich bringen diese rechtlichen Schritte auch für eine Verbesserung der Lebensumstände, um die viele Aktivist:innen lange gekämpft haben. In einer heterosexistischen Realität sind diese Veränderungen aber nur punktuell.

Mexiko ist in Lateinamerika das Land mit der zweithöchsten Anzahl an transfeindlichen Morden sowie Hassverbrechen an LGBTI+-Personen. Besonders gefährdet sind trans Frauen, deren Lebenserwartung in Lateinamerika durchschnittlich bei nur 35 Jahren liegt – das ist weniger als die Hälfte der Lebenszeit der restlichen Bevölkerung. Während sich in Mexiko City sowie größeren Städten einige LGBTI+-Communities gebildet haben, ist die Lage besonders in ländlichen Regionen sehr gefährlich. Im Jahr 2022 wurden 70 trans Menschen in Mexiko ermordet, und auch die Zahl der Hassverbrechen gegen LGBTI+-Personen nimmt stetig zu. Viele leben in wirtschaftlich prekären Situationen und werden von der Gesellschaft ausgegrenzt. Besonders trans Frauen sind häufig gezwungen, als Prostituierte zu arbeiten. Während der mexikanischer Kanzler sich also neben Ociel Baena mit Regenbogenflagge als fortschrittlich präsentiert hat, ist die Realität von LGBTI+-Personen in Mexiko von Gewalt und Ausbeutung geprägt.

Ociel Baena war als Richter:in in einer hohen Position im staatlichen System, die nicht vergleichbar mit den Umständen der meisten LGBTI+ ist. Als im Juli 2023 der mexikanische LGBTI+-Aktivist Ulises Nava bei einer Konferenz ermordet wurde, erhielt Ociel direkt behördlichen Personenschutz. Dieser war am Montag letzter Woche – auf Ociels Aufforderung hin – nicht in deren Wohnung, in der Ociel Baena und deren Partner:in Dorian Daniel Nieves gegen Nachmittag tot aufgefunden wurden. Diesen Punkt betonen einige Medienberichte, als läge hier ein Grund für den grausamen Tod Ociels. Doch es ist offensichtlich, dass auch ein Personenschutz, den Ociel durch deren hohe behördliche Position erhalten konnte, letztlich nie komplett vor Gewalt schützen können.

Mentira nacional – der Kampf um Gerechtigkeit für Ociel

Aktuell sprechen die ermittelnden Behörden nicht von einem transfeindlichen Mord. Die Staatsanwaltschaft gab bekannt, dass sich am Tatort keine Spuren einer dritten Person außerhalb des Paares finden ließen. Die Beweise würden stattdessen dafür sprechen, dass Dorian deren Partner:in Ociel getötet hätte, und sich anschließend selbst das Leben genommen hätte. LGBTI+-Organisationen weisen diese Auswertung der Staatsanwaltschaft jedoch entschieden zurück.

Noch am selben Tag gingen tausende Menschen in Mexiko auf die Straße, die den Tod von Ociel Baena als LGBTI+-feindliches Hassverbrechen verurteilen. Sie fordern eine transparente Aufklärung des Falls, die eine Geschlechtsperspektive sowie die LGBTI+-feindlichen Hassverbrechen gegenüber Ociel in den letzten Monaten mit einbeziehen. Die Demonstrierenden riefen unter anderem „Mentira nacional“, Staatliche Lüge. Sie kämpfen damit nicht nur um Gerechtigkeit für Ociel, sondern gegen die Gewalt an allen LGBTI+-Personen.

Befreiung für uns alle

Ein Weg wie der von Ociel Baena, über viele systematische Hürden, ist zwar nicht selbstverständlich, bringt uns aber allein noch keine Befreiung. In den Medien wird Ociels bloße Existenz im Staatsapparat als höchste Form des Widerstands präsentiert. Mit einer non-binären Person im Gericht gibt der Staat sich als fortschrittlich, während Ociel selbst für deren Auftreten täglich Drohungen erhielt.

An dieser Stelle darf unser Kampf nicht aufhören! Auch trans Richter:innen können die Situation von LGBTI+ Menschen nicht verbessern, wenn sie letztlich mit den gleichen heterosexistischen Gesetzen arbeiten. Der Fall von Ociel Baena zeigt, wie der Staat einzelne LGBTI+ Personen nutzt, um seinem System einen bunten Anstrich zu geben. Doch nicht mal diese kann der Staat vor Gewalt schützen: Auch Ociel Baena konnte weder vor Hassverbrechen bewahrt werden, noch sorgt die Staatsanwaltschaft nach deren Tod für Gerechtigkeit.

Für uns ist klar: Der Tod von Ociel Baena ist ein Angriff auf uns alle. Dabei ist Ociels Tod kein Einzelfall, sondern steht in einer langen Reihe widerständiger LGBTI+-Personen, denen im Kampf um Selbstbestimmung und Freiheit das Leben genommen wurde. Wir stehen an der Seite von LGBTI+-Organisationen in Mexiko, wir fordern Gerechtigkeit für Ociel Baena und für alle ermordeten LGBTI+-Personen weltweit.

Hoch die internationale Solidarität!

Quellen:

BBC 15.11.2023 https://www.bbc.com/mundo/articles/cv2zpzvv002o

El País 15.11.2023 https://elpais.com/mexico/2023-11-15/dos-navajas-huellas-y-ningun-testigo-la-investigacion-del-caso-ociel-baena-tiene-en-vilo-a-mexico.html

CNN 14.11.2023 https://cnnespanol.cnn.com/2023/11/14/protestan-mexico-muerte-ociel-baena-persona-no-binaria-magistrade-orix/


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