Gedenken sind für LGBTI+ ein wichtiger Bestandteil der politischen Praxis. Deswegen gehen wir zum Beispiel jedes Jahr am 20. November, am Trans Day of Remembrance, auf die Straßen, um unseren gefallenen trans Geschwistern zu denken. Das bedeutet zum einen, dass wir an ihre Kämpfe erinnern, an die Meilensteine, die sie erreicht haben. Zum anderen bedeutet Gedenken für uns auch, die Kämpfe unserer Geschwister weiterzutragen. Wir gedenken Marsha P. Johnson und Silvia Rivera, weil sie die Stonewall Aufstände mit angeführt und sich gegen die schon damals herrschende Polizeigewalt gewehrt haben. Wir gedenken auch unseren Genossinnen Okan Altunöz und Ivana Hoffmann, die sich der Rojava Revolution anschlossen und sie mit dem LGBTI+ Befreiungskampf verbanden. Auch ihre Kämpfe tragen wir weiter.
Revolutionären LGBTI+ Personen zu gedenken hilft uns, neue Kraft zu schöpfen, weil wir uns daran erinnern, wie viel unsere Geschwister und unsere Genoss:innen durch ihre Kämpfe bereits erreicht haben und wie viel wir mit unseren Kämpfen noch alles erreichen können.
Es sind jedoch nicht nur LGBTI+ Personen, denen wir gedenken wollen. Als antikapitalistische Organisation ist es für uns wichtig, allen Revolutionär:innen zu gedenken, die dafür gekämpft haben, eine Welt zu schaffen, in der wir alle befreit leben können.
Dazu gehören z.B. auch Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Lenin, die alle im Januar unsterblich wurden.
Am 15.01.1919 wurden Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht im Auftrag der sozialdemokratischen Regierung von faschistischen Freikorps erschossen. Sie haben sich zuvor entschlossen gegen den ersten Weltkrieg gestellt und für die Revolution in Deutschland gekämpft. Damit waren sie den deutschen Sozialdemokraten, die sich schon lange auf die Seite Kapitalisten und Kriegstreiber gestellt hatten, ein Dorn im Auge. Zur Beerdigung von Rosa und Karl sowie 33 weiteren Gefallenen des Spartakusaufstandes gingen mehr als 100.000 Menschen auf die Straße.
Auch heute wird den beiden noch mit einer großen Demonstration gedacht. Seit Lenins Tod am 21. Januar 1924 wird auch diesem wichtigen Revolutionär bei der Demonstration gedacht.
Die revolutionären Kämpfe vor 100 Jahren sind nicht so weit von uns entfernt, wie sie im ersten Moment vielleicht scheinen. Heute sehen wir, wie der deutsche Staat durch Waffenexporte immer höhere Profite erzielt und auch die Militarisierung Deutschlands durch Kriegspropaganda und Diskussionen über die Wehrpflicht vorantreibt. Deutschland unterstützt den imperialistischen Krieg in der Ukraine oder den Apartheidsstaat Israel. Auch deutsche Unternehmen wie Bosch oder Rheinmetall machen dicke Profite durch den Krieg. Gleichzeitig behauptet der deutsche Staat auch heute, dass er sich für Frieden und Demokratie stark machen würde. Zwar hat sich viel verändert, aber im Kern kämpfen wir auch heute gegen den gleichen Feind wie Lenin, Rosa und Karl: Krieg und Kapitalismus.
Was aber haben diese Probleme mit uns als LGBTI+ zutun?
Auch als LGBTI+ erfahren wir im kapitalistischen System tagtäglich Unterdrückung. Da LGBTI+ Personen nicht in das heterosexistische System passen, also die engen Grenzen heterosexueller Beziehungen und binärer Geschlechterordnung sprengen, werden sie an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Der Kapitalismus lebt von der kleinbürgerlichen Familie, bestehend aus Mutter, Vater und Kind. In diesem Zweigeschlechtersystem haben LGBTI+ keinen Platz. Der Kapitalismus interessiert sich nur für uns, wenn er dadurch Gewinn machen kann – wie zum Beispiel während dem Pride Month mithilfe von Pinkwashing.
Auch die imperialistischen Kriege sind nicht im Interesse von LGBTI+. Das Einziehen von Transfrauen als „Männer“ zum Militär im Krieg in der Ukraine oder das Selbstbestimmungsgesetz in Deutschland, das vorsieht, Änderungen des Geschlechtseintrages im Kriegsfall rückgängig zu machen, zeigen, wie schnell es mit den Rechten von LGBTI+ im Krieg wieder vorbei sein kann. Israel benutzt uns LGBTI+, um seinen Genozid in Palästina zu rechtfertigen. Der Kampf gegen den Krieg geht also auch uns LGBTI+ ganz unmittelbar etwas an.
Schließlich kämpfen wir aber nicht nur gegen die gleichen Feinde wie viele Revolutionär:innen vor uns – ob LGBTI+ oder nicht. Wir können auch von ihrem Mut und ihrer Entschlossenheit lernen. Die Gewalt an LGBTI+ Personen, vor allem an trans Personen, steigt mit jedem Jahr. Der deutsche Staat und die Polizei tun nichts dagegen. Nicht selten sind Polizisten selbst die Täter von homo- und transfeindlichen Angriffen. Der Faschismus ist auf dem Vormarsch und LGBTI+ eines seiner Hauptziele. Umso wichtiger ist es für uns deswegen, uns nicht kleinkriegen zu lassen. Wir müssen uns organisieren um gegen dieses unterdrückerische System zu kämpfen, so wie es schon Lenin, Rosa, Karl und so viele andere vor uns getan haben.
Jeden Tag werden uns Geschwister genommen – ob in Deutschland, in Palästina, in Kurdistan oder überall auf der Welt. Wir gedenken ihnen nicht nur, indem wir ihre Namen sagen und an sie erinnern. Wir gedenken ihnen auch, indem wir unsere Trauer in Wut umwandeln und den Kampf gegen die Unterdrückung von Geschlechtern, geschlechtlichen und sexuellen Identitäten so wie die Unterdrückung von Völkern weiterführen.
Wie Marsha P. Johnson einmal sagte: „No pride for some of us without liberation for all of us“.
Auch in diesem Jahr heißt es für uns: LGBTI+ in die Offensive! Gedenken heißt kämpfen!