Pride Rebellion

Das Rot des Regenbogens: Îsyan Tolhildan Pîrsusê

Der folgende Artikel wurde am 17.06.2024 anlässlich des Pride Month auf ETHA veröffentlicht. Wir haben ihn ins Deutsche übersetzt.

Während das faschistische Regime der Türkei Treuhänder für Kurdistan ernennt und eine Operation nach der anderen in den Medya-Verteidigungsgebieten durchführt, verbietet es die Pride und macht CSDs unmöglich, indem es de facto einen Ausnahmezustand ernennt. Zusätzlich verbietet das faschistische Regime die Existenz von LGBTI+ mit dem Gesetzentwurf zur “Stärkung der Familie”.
Angesichts einer solch LGBTI+ feindlichen Realität in der Türkei können weder die Arbeiter:innenklasse und der Rest der Unterdrückten ohne die Befreiung von LGBTI+ befreit werden, noch können LGBTI+ befreit werden, ohne sich selber am Klassenkampf zu beteiligen. Bei dem Vorgehen der Türkei, die faschistische Ideologie des Staates in der ganzen Gesellschaft zu verbreiten, sollten kämpfende LGBTI+ merken, dass sie zum Befreiungskampf aufgerufen werden. Der Aufruf der Genossin Îsyan, sollte uns bei den Angriffen, denen wir heute ausgesetzt sind, leiten.


“Der Grund, warum ich nach Rojava gekommen bin, ist, die Revolution von Rojava zu verteidigen und sie in der ganzen Welt zu verbreiten. Außerdem gehört das Stück Kufiyah am Gewehrlauf meiner Waffe der Märtyrerin Berçem Renas. Der Gewehrlauf meiner Waffe wird immer wütend sein, mein Lauf wird immer wütend bleiben, um die Märtyrer zu rächen.”
Mit diesen Worten begrüßte sie, nachdem sie ihren ersten Schritt in das revolutionäre Rojava gemacht haben, ihre Waffen gerüstet haben, die LGBTI+ Neuankömmlinge, unsere dreiunddreißig roten Nelken.

Aus Îsyans Leben lernen

Îsyan Tolhildana Pîrsusê bzw. Okan Altunöz, wie sie im System genannt wurde, wurde 1992 in Ankara in einer kurdisch alevitischen Familie geboren. Schon früh wurde sie sich ihrer Geschlechtsidentität bewusst, sodass sie schon früh in einem Widerspruch mit dem Heterosexismus lebte. Gleichzeitig wuchs sie in einer Familie aus Koçgirili in Ankara, der Hauptstadt des kolonialen Faschismus, auf. Mit all diesen Widersprüchen in ihrer Persönlichkeit lebte sie ein Leben, das in jeder Hinsicht im Widerspruch zum System stand.
Über das Leben unserer Unsterblichen zu lesen und es zu erforschen ist nicht nur wichtig, um die Größe ihrer Kämpfe und Opfer zu erfahren und ihr Andenken lebendig zu halten, sondern es zeigt uns auch, wie Revolutionär:innen zu Freiheitskämpfer:innen werden können, indem sie im Kampf geformt werden. Über sie zu lesen, von ihnen zu lernen, zu sehen, welche Widersprüche sie überwunden haben und wie sie sie überwunden haben, ist für jeden jungen Menschen wichtig, der in den gleichen oder ähnlichen Widersprüchen wie sie lebt und sich im Kampf mit dem System befindet. Aus diesem Grund ist das Leben unserer Unsterblichen auch eine Lehre für uns und ein Kompass im revolutionären Kampf. Genossin Îsyan Tolhildana Pîrsusê lebte auch in unserer Zeit, umgeben von faschistischem Terror und dem liquidatorischen Wind, der stark aus dem faschistischem Regime nach Rojava herüberwehte, ein Leben voller lehrreicher Erfahrungen in Bezug auf ihre Identität, ihren Charakter, ihre Kühnheit, ihre Selbstexistenz im Kampf und im Kollektiv und ihren Umgang mit den Widersprüchen sowohl ihrer selbst, als auch die des Kollektivs und der LGBTI+-Bewegung, deren Subjekt sie war. Unsere Pflicht ist es, aus ihrem Leben zu lernen, und die wenigen Informationen, die wir erhalten können, zusammen mit den Bedingungen, in denen wir uns befinden zu nutzen; dies ist unsere Pflicht im Pride Month.

Die Genossin lernte den Kampf während ihrer Schulzeit kennen und führte vier Jahre lang den demokratischen Jugendkampf. Nach diesen vier Jahren erlebte sie einen vorübergehenden Rückfall und lebte etwa drei Jahre lang ein Leben abseits des organisierten Kampfes. In dieser Zeit erlebte sie zwei prägendeEreignisse, die sie mit den Widersprüchen an der Front konfrontierten. Das erste dieser Ereignisse war die Schikane und Vergewaltigung, die sie durch die Polizei erfuhr, nachdem sie 2014 festgenommen worden wurde, und das zweite war das von ISIS organisierte Massaker an den sozialistischen Jugendlichen, die nach Pîrsus gingen, um für die Aufbaukampagne von Kobanê in die Länder der Revolution zu gelangen. Sie reagierte und überwand die Widersprüche, nicht, indem sie sich zurückzog, sondern indem sie sich mit dem Bewusstsein der Rache für das Massaker von Pîrsus neu organisiert. Sie macht den faschistischen Terror zu einem Sprungbrett für sich selbst und verwandelt ihre Erfahrungen in eine Säule des “Tolhildan”-Bewusstseins, das in ihrem Namen zum Ausdruck kommt.

Wie gehen wir als LGBTI+ in den Kampf?

2016 trat sie in das Land der Rojava-Revolution über. Indem Îsyan alle Widersprüche des Systems zusammenfügte, entwickelte sie sich zu einer Freiheitskämpferin gegen den kolonialistischen, heterosexistischen Feind. Mit der ideologischen und militärischen Ausbildung, die sie in den Gebieten der Revolution erhielt, wurde sie in kurzer Zeit zur Kommandantin. Als LGBTI+ Kommunistin baute sie sowohl ihre eigene, als auch die Qualität ihrer Partei im Feld weiter auf. Die Wirkung der ideologischen Ausbildung, die sie erhielt, spiegelte sich auch in den politischen und ideologischen Bildungen wider, für die sie die Verantwortung übernahm. Ihr Artikel aus dem Jahr 2017, in dem sie den Verlauf der Entwicklung und die Probleme der LGBTI+-Bewegung sowie den Ansatz der kommunistischen Vorhut diskutiert, gibt uns genügend Ideen zu diesem Thema. Der Artikel liefert uns Ideen und Aufgaben, warum die Befreiung von LGBTI+ im Sozialismus liegt, wie die kommunistische Vorhut auf programmatischer Ebene im Hinblick auf den Befreiungskampf von LGBTI+ weiter positioniert werden kann, mit welchen Widersprüchen eine revolutionäre LGBTI+-Bewegung konfrontiert ist, während sie selbst im Kollektiv existiert, und wie die rückständigen Tendenzen innerhalb der Vorhut angesprochen und überwunden werden können. 

Werfen wir nun einen Blick auf die eigenen Zeilen der Genossin, lassen wir die Sätze aus ihrer eigenen Hand dieses Mal unser Hauptaugenmerk sein. Sie drückt die Notwendigkeit, dass die sexuelle Freiheit von LGBTI+ und die Emanzipation der Arbeiter:innenklasse als zwei soziale Dynamiken zu verschmelzen und die Notwendigkeit, dass die LGBTI+ Bewegung ihr Gesicht dem Kampf der Arbeiter:innen zuwendet, wie folgt aus: “Die Unterdrückungs- und Eliminierungspolitik im Rahmen der männlich dominierten Mentalität hat sich zuerst gegen den Befreiungskampf der Frauen, dann gegen LGBTI+ und ihre Organisationen gerichtet. Die Marginalisierungspolitik der Regierung drängt das Subjekt dazu, sich zu organisieren und alle Möglichkeiten des Kampfes zu nutzen und die Dynamik des Kampfes in den Reihen der Arbeitenden zu verstärken. Es scheint, dass LGBTI+ Organisationen einen Stil und eine Form des Kampfes annehmen müssen, die die Klassenbefreiung auf der Grundlage der Perspektive der sexuellen Befreiung vorwegnehmen.”
Wenn es darum geht, die eigene revolutionäre Entwicklung und die Spannungen der Entwicklung zu tragen, wählt Îsyan mutig den Weg der inneren Abrechnung: “Während soziale und umweltbedingte Druckfaktoren den größten Teil der effektiven Dynamik dieses Kampfes um Bekanntschaft ausmachen, ist ein Teil davon meine Ebene des Friedens mit meiner Authentizität. Der Druck der gesellschaftlichen ‘moralischen’ Mentalität nimmt den größten Teil meiner Annäherung an meine eigene Identität als Subjekt ein”.
Beim Rückblick auf ihre revolutionäre Vergangenheit geht sie von Transparenz und Fortschritt aus: “Daher kann ich sagen, dass der Prozess des Kennenlernens meiner Identität eher ein innerer Kampf mit dem gelehrten männlichen Geschlechtsbewusstsein war, als ein Kampf mit der Mentalität der Gesellschaft”, und mit dieser Offenbarung versucht sie auch, einen neuen Weg für sich zu zeichnen. Wenn es um ihre eigene Partei geht, scheut sie nicht vor Selbstkritik gepaart mit Kontinuität im Kampf zurück: “Man stelle sich eine Partei vor, die nicht in der Lage ist, angesichts der von ihr kritisierten bürgerlichen Politik und des bürgerlichen Systems eine eigene Politik zu entwickeln und ihre Alternative in ihrer internen Organisation zu verkörpern; man kann voraussagen, dass ihre politischen und militärischen Errungenschaften in einem beschleunigten Tempo zurückgehen werden. Es muss betont werden, dass es für LGBTI+ sehr wichtig ist, diesen Zustand der Analyse mit der Emanzipation zu beenden” und ruft die kommunistische Avantgarde dazu auf, den Organisationsgrad des gesamten Kollektivs auf die Ebene der Organisation und Subjektivierung von LGBTI+ zu heben. Diese Zeilen sind für uns ein Beispiel für die Offenheit der selbstkritischen Herangehensweise der Genossin an sich selbst, an die LGBTI+-Bewegung, deren Subjekt sie ist, und an das Kollektiv, an dem sie beteiligt ist. Die Genossin zeigt uns, dass die Ernsthaftigkeit und Offenheit in der Kritik und Selbstkritik der Ausdruck der Aufrichtigkeit in der Herangehensweise an den Kampf ist, indem sie für das kämpft, was sie kritisiert hat und unsterblich wurde.

Was nehmen wir von Îsyan mit?


Genossin Îsyan wurde im April 2022 unsterblich, da sie sich mit dem Covid-19-Virus infizierte, welcher in Rojava durch die Auswirkungen der kolonialistischen Belagerung zu einer sich verschärfenden Gesundheitskrise wurde. Îsyan war während ihres gesamten Guerilla-Lebens immer wütend und blieb immer wütend mit dem Bewusstsein der Rache im Einklang mit dem Namen Tolhildan. Letztlich ist ihr Leben ein Aufruf, uns mit unseren Verhaltens- und Denkmustern zu konfrontieren, mit unserer Persönlichkeit, die der kolonialistische faschistische heterosexistische Kapitalismus in unsere Persönlichkeiten eingewoben hat, die uns nicht weiterbringen als Sklaven der Ordnung zu sein, einfache Objekte der Gewalt und des Konsums, um die Ausbeutung zu sichern, und unsere belagerten Körper und unser Bewusstsein im Angesicht des Feindes neu zu erschaffen und uns zu Revolutionär:innen zu machen, die bei jedem Schritt nach vorne befreit werden. Zweifellos ist dieser Krieg, wie uns die Geschichte lehrt, ein Krieg, der auf revolutionärer Gewalt beruht. Ihr Leben ist ein unbestreitbarer Beweis dafür, wie das Erbe der Rache von Alişer und Zarife Ana mit der Rache von Hande Kaders zusammengeführt und als Wille in den Ländern der Revolution gegen den Kolonialismus errichtet werden kann. Ihr Leben ist ein Aufruf, den gesellschaftlichen Kampf und die Widersprüche ganzheitlich zu begreifen und zu bekämpfen. Es ist die unzerbrechliche Bruderschaft des Rot des Regenbogens und in den Farben Kurdistans Grün, Rot und Gelb.

Heutzutage ist festzustellen, dass das faschistische Regime zum einen Treuhänder für Kurdistan ernennt und eine Operation nach der anderen in den Medya-Verteidigungsgebieten durchführt, aber auch Pride verbietet, CSDs durch die Verhängung des faktischen Ausnahmezustands in den Städten unmöglich macht und die Existenz von LGBTI+ mit dem Gesetzentwurf zur “Stärkung der Familie” vollständig verbieten will. Dasselbe Regime versucht, eine junge Generation zu schaffen, die LGBTI+ feindlich gesinnt ist, Einwanderern gegenüber feindselig ist, dem Regime gehorsam ist und die Quelle ihrer Probleme in eben diesen unterdrückten Gruppen sieht, und betreibt das Projekt der Schaffung einer “religiösen und verbitterte Generation”, indem es das jahrhundertealte Bildungsprogramm in Gang setzt. All diese Angriffe, die fragmentarisch scheinen, aber im Hinblick auf die Ausrichtung des Regimes, das im Wesentlichen die Quelle ist, richten sich gegen Kurd:innen, Alevit:innen, Jugendliche, Frauen und LGBTI+. Angesichts einer solch feindlichen Realität können weder die Arbeiterklasse und der Rest der Unterdrückten ohne die Befreiung von LGBTI+ befreit werden, noch können LGBTI+ befreit werden, ohne am Klassenkampf teilzunehmen. Bei dem Angriff des Staates, die neue offizielle Ideologie des Staates in der ganzen Gesellschaft zu verbreiten, sollte der LGBTI+-Kampf angesprochen werden, und der Aufruf der Genossin Îsyan, den sie mit ihren Zeilen und ihrem Leben geschaffen hat, sollte uns bei den Angriffen, denen wir heute gegenüberstehen, leiten. Der Aufruf der Genossin Îsyan Tolhildana Pîrsusê ist aktuell. Unsere Aufgabe ist es, die Fahne des vereinten Kampfes zu hissen, die in ihrer Person verkörpert ist, den Regenbogen, der sich im Pride Month erhebt, mit dem Feuer der Rebellion, das von Colemêrg aus entfacht wurde, zusammenzubringen.


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