Pride Rebellion

LGBTI+ Kampf ist nicht nur einmal im Jahr!

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Young Struggle als Interview mit Pride Rebellion: https://young-struggle.org/lgbti-kampf-ist-nicht-nur-einmal-im-jahr-interview-mit-pride-rebellion-zum-csd/

In Deutschland und weltweit gibt es CSDs. In Anlehnung an die Aufstände im Stonewall Inn in New York im Jahr 1969 und dem daraus entstandenen Pride Month, gehen hunderttausende Menschen zu den Paraden auf die Straßen, in Städten wie Köln nahmen sogar etwa eine Million Menschen teil. Die CSDs wurden von Jahr zu Jahr unpolitischer und sind mittlerweile vor allem eins: Eine Party. Der Bezug zum Ursprung der Paraden ist längst verloren gegangen und in den vergangenen Jahren versuchen Parteien, Konzerne und mittlerweile auch Bundeswehr und Polizei mehr und mehr präsent auf den Paraden zu sein um Einfluss zu nehmen und das eigene Image aufzubessern. Auch Gewalt von außen gibt es immer häufiger auf CSDs.

F: Ihr seid eine antikapitalistische Organisation. Könntet ihr als erstes etwas genaueres dazu sagen, was euch als Organisation auszeichnet und was ihr aktuell macht?

Wir sind eine antikapitalistische LGBTI+ Organisation, die sich den Anspruch setzt, die Lügen des Staates und seines Pinkwashings zu entlarven. Wenn wir uns als antikapitalistisch bezeichnen, müssen wir die Institutionen, die den Kapitalismus am Laufen halten, angreifen. Auch der bürgerliche Staat fällt darunter, egal ob eine Große Koalition regiert oder die neoliberale Ampelregierung. Bei der Ampelregierung zum Beispiel müssen wir nicht auf ihren Regenbogen-Anstrich reinfallen, sie haben uns in der Vergangenheit gezeigt, dass sie nichts für LGBTI+ Befreiung tun werden, wie die Abstimmung zum sogenannten Transsexuellen Gesetz 2021 gezeigt hat und sie zeigen es uns erneut, indem sie große Gelder für die Förderung von LGBTI+ Projekten streichen. Das ist das Ziel was wir uns mit vielen Arbeiten setzen: Die Lügen der Regierung bezüglich ihrer „Fortschrittlichkeit“ aufdecken, das war auch einer der Hauptschwerpunkte zu unseren Stonewall Arbeiten.

Als Organisation zeichnet uns weiterhin viel aus: wir sind Internationalist:innen und Antiimperialist:innen, das heißt wir sind solidarisch mit den sozialen Kämpfen, die überall auf der Welt geführt werden, ob in Palästina oder Kurdistan und stellen uns gegen jeden imperialistischen Krieg. Wir sind keine Queerfeminist:innen: Wir beziehen unsere Praxis aus materialistischen Analysen und revolutionären Perspektiven, wie die der Frauenrevolution, nach der Frauen und LGBTI+ eine gemeinsame Bündniskraft im Kampf gegen das Patriarchat sind.

Aktuell haben wir den Pride Month erfolgreich mit zwei großen Stonewall-Demos in Duisburg und in Hamburg und einer sozialen Medienkampagne hinter uns gelassen. Wir wollen aber weiterhin einen antikapitalistischen Ausdruck auf die CSDs tragen, die noch kommen. Gerade laufen zwei große Streikbewegungen in Deutschland, einmal in den Hamburger Häfen und einmal in den Unikliniken in NRW, da ist es für uns wichtig Solidarität zu zeigen.[1] Und natürlich sind Krieg und Krise als alltagsbestimmende Themen auch bei uns auf der Tagesordnung, vor allem im Hinblick auf den Antikriegstag am 1. September.

F: Weshalb habt ihr es als wichtig angesehen euch als antikapitalistische LGBTI+ Organisation zu gründen?

Wir wollen die Klassenkämpfe und die Gesellschaftlichen Kämpfe, die sich gerade in Deutschland ereignen aufgreifen und mit LGBTI+ Themen verbinden. Das machen nicht viele LGBTI+ Organisationen, die sich als antikapitalistisch verstehen. Sie beziehen die Auswirkung des Kapitalismus nur auf den Aspekt der LGBTI+ Unterdrückung, sehen aber nicht den Zusammenhang, den die sozialen Kämpfe haben. Viele betrachten LGBTI+ Personen getrennt von der Arbeiter:innenklasse, aber der Großteil der LGBTI+ Personen ist ein Teil der Arbeiter:innenklasse. Das heißt, wenn die Arbeiter:innen einen Kampf starten, werden wir als LGBTI+ Personen mit an vorderster Front stehen.

Doch weite Teile der LGBTI+ Personen sind noch nicht in Bewegung. Wir erleben Vereinzelung und Zersplitterung in den Communities und viel weniger eine starke Einheit, die gemeinsam für ihre Befreiung kämpft. Pride Rebellion soll eine Anlaufstelle für alldiejenigen sein, die kollektiv politisch aktiv werden wollen und den nicht politisierten Communities eine Alternative entgegensetzen.

F: Wir möchten in diesem Interview vor allem auf die antikapitalistische Perspektive im Bezug des CSD eingehen. Der CSD entstand aus den Stonewall Riots. Könnt ihr etwas zu der Entstehung des CSD sagen?

CSD, ausgesprochen heißt das Christopher Street Day. Das bezieht sich auf die Straße, in der die Stonewall Riots damals stattfanden. Damals waren die Stonewall Riots ein tagelanger Protest gegen die rassistischen und LGBTI+ feindlichen Polizeikontrollen in dem Viertel, die häufig mit viel Gewalt einhergingen. Das Viertel ist das Greenwich Village und historisch eigentlich ein Arbeiter:innen- und Migrant:innenviertel. Nicht mal am ersten Tag des Protests waren nur die Gäste des Stonewall Inns an dem Aufstand beteiligt, schon da haben sich die Menschen aus dem Viertel dem Protest angeschlossen, bis sie sich im Laufe der Tage zu Tausenden auf den Straßen fanden.

Die LGBTI+ Gäste des Stonewall Inns haben es geschafft aus ihrer Nische auszubrechen und sind damit auf die Solidarität der Nicht-LGBTI+ Bewohner:innen des Viertels gestoßen. Also eben kein „Safe Space“, weil sie ihren Protest rausgetragen haben, sie haben ihn zu einem gesellschaftlich relevanten Kampf der Zeit gemacht und das dauert bis heute an.

In der Zeit darauf gründete sich die Gay Liberation Front, eine antikapitalistische LGBTI+ Organisation, die ihren Namen der Black Liberation Front, dem bewaffneten Arm der Black Panther Party, entliehen hat. Am 1. Jahrestag wurde eine Protestdemo organisiert zu der noch „nur“ 4.000 Menschen kamen. Also ist der CSD aus einem militanten Protest gegen Polizeigewalt entstanden. Heute ist nicht mehr viel davon übrig, wenn wir auf einen CSD gehen, sehen wir eher nur Party Stimmung und Glitzerkonfetti, aber wenig Kampfgeist.

F: Wir sehen aktuell auf den CSD Veranstaltungen, dass sich viele Unternehmen und selbst die Polizei und Bundeswehr in Regenbogenfarben inszenieren. Ein Teil der Linken Bewegung sagt, dass sei ein Beweis dafür, dass die LGBTI+ Bewegung Teil des kapitalistischen Systems sei. Wie bewertet ihr die Situation?

Es ist ein Fakt, dass sich Konzerne und der Staat gerne fortschrittlich inszenieren wollen, um damit ein besseres Bild von sich hergeben zu können. Das nennt man im Bezug auf LGBTI+ Pinkwashing oder Regenbogen Kapitalismus. Pinkwashing ist eine Strategie des Kapitalismus, um LGBTI+ vereinnahmen zu können, ohne wirklich etwas für sie zu tun. Denselben Effekt sehen wir auch bei Migrant:innen in Machtpositionen. Es soll ein Gefühl von Sichtbarkeit, Verständnis und Fortschrittlichkeit vermitteln mit dem geringsten Aufwand, der dem bürgerlichen System nicht schadet. Der CSD ist mittlerweile ein Glanzbeispiel für das Pinkwashing der Polizei und der Bundeswehr, für Konzerne bietet er schon länger eine Werbefläche. Wie steht das jetzt in Verbindung zu LGBTI+ Personen? Gar nicht. Natürlich lassen sich manche Personen von dieser Taktik um den Finger wickeln und zelebrieren „queere Sichtbarkeit in der Polizei“, aber man kann noch nicht davon sprechen, dass sie Teil des bürgerlichen Systems sind, nur weil wir als Marketingstrategie missbraucht werden. LGBTI+ Personen sehnen sich nach Sichtbarkeit, weil sie seit dem Anfang der Klassengesellschaften an den Rand der Gesellschaft gedrängt wurden. Seit Entstehung der patriarchalen Familie steht ein Reproduktionsgedanke im Vordergrund, den LGBTI+ nicht erfüllen konnten. Ökonomisch haben LGBTI+ keine große Relevanz, der Großteil ist Teil der Arbeiter:innenklasse. Die LGBTI+ der Bourgeoisie profitieren natürlich von ihrer Macht und gliedern sich in die bürgerliche Gesellschaft ein, aber auch das ist nur ein Bruchteil.

LGBTI+ haben eine ideologische Sprengkraft: Von sich aus ist es ihnen unmöglich, sich in das System einzufügen, alle Spalten, die uns geöffnet werden sind begrenzt in ihrer Akzeptanz. Wenn LGBTI+ sich politisch organisieren, haben sie die Kraft, gemeinsam mit den Frauen, die Normen des Geschlechtersystems zu sprengen. Dafür müssen sie aber bewusst als Teil ihrer Klasse kämpfen. Bisher ist nicht von einer Bewegung zu sprechen, weil nicht genug LGBTI+ Personen eine aktive Rolle als LGBTI+ Masse in den gesellschaftlichen Kämpfen unserer Zeit oder auch in ihren eigenen Kämpfen spielen. Es ist ein Fehler der Linken Bewegung sich von LGBTI+ Personen und ihrem politischen Potential abzugrenzen, nur weil der CSD bürgerlich vereinnahmt wurde. Dasselbe wird mit dem 1. Mai versucht, seit er in Deutschland ein Feiertag ist und staatsnahe Gewerkschaften treten bei den Veranstaltungen auf, trotzdem gibt es Bestrebungen diesen Tag revolutionär als Kampftag zu gestalten, dasselbe wollen wir auch mit Stonewall machen.

F: Wie sollte unsere Antwort als Antikapitalist:innen auf den Versuch der Kapitalisten sein, den Kampf von LGBTI+ Menschen für sich zu vereinnahmen, wie zum Beispiel beim CSD?

Die Antwort ist einfacher als man denkt: Antikapitalistische Präsenz auf dem CSD. Wir müssen die Kapitalist:innen, die uns unterdrücken und das auch noch vermarkten wollen ständig angreifen und das dort wo wir sie treffen. Stört die Bundeswehr- und Polizeiparaden auf den CSDs, haltet eure eigenen Reden in der Menge, greift die LGBTI+ feindliche Politik des Staates an. Und kommt vor allem mit den Leuten ins Gespräch, macht ihnen klar, warum der CSD nicht nur eine Party sein kann, wenn es so viel gibt, was wir uns noch erkämpfen können. Mit Pride Rebellion versuchen wir gerade den Stonewall Jahrestag als Kampftag zu etablieren, schließt euch dem Bestreben an und organisiert eigene kämpferische Stonewall Aktionen.

Und das wichtigste: Geht nicht nur an Einem sondern an 365 Tagen im Jahr auf die Straße. Wir nehmen uns das Recht heraus, nicht nur an den Visibility Days auf die Straße zu gehen und unsere Aktionen zu machen, sondern, dann wann wir es wollen und es für nötig erachten. Warum sollten wir bis zum Pride Month warten, wenn wir gerade jeden Tag angegriffen werden und uns jeden Tag das Recht auf Existenz genommen wird? LGBTI+ Kampf ist nicht nur einmal im Jahr.

F: Es gab in letzter Zeit viele Angriffe in Bezug auf CSDs. Wie schätzt ihr die Situation ein?

Die Angriffe auf die CSDs sind für uns einmal mehr ein Beweis, dass LGBTI+ nicht im bürgerlichen System willkommen sind. Der CSD in Karlsruhe wurde angegriffen, die Organisator:innen des CSDs in Recklinghausen wurden mit Steinen beworfen, 2 Tage vor der Pride in Oslo erschießt ein Faschist 2 Menschen in einer LGBTI+ Bar. Sie treffen uns an den Orten, zu den Zeiten, wo wir uns offen zeigen und sagen uns somit, mit ihrer aller Gewalt, dass sie uns nicht hier haben wollen. LGBTI+ haben das Pech, dass sich alle Reaktionären gegen sie vereinen, gegen kaum eine andere Menschengruppe wird so viel aus allen Richtungen gehetzt. Deswegen darf unsere Reaktion darauf nicht Rückzug sein. Wir dürfen uns nicht in unseren Communities in Safe Spaces verkriechen, wenn wir angegriffen werden. Die Existenz als LGBTI+ Person ist ein dauerhafter Kampfzustand, was soll ein Safe Space uns dann bringen, wenn wir unsere Wut nichtmal auf die Straße tragen können? Die Straßen der Welt sind kein Safe Space, aber genau da müssen wir sein, wenn wir angegriffen werden. Deswegen sind wir mit dem Motto „In allen Farben kämpfen wir, LGBTI+ in die Offensive!“ in unsere Stonewall Arbeiten gestartet. Dabei dulden wir keine Erklärungen wie „der CSD in Freiburg wurde von den Geschehnissen in Oslo überschattet“. Warum wurden die CSDs überschattet? Weil Stonewall zu einer Party geworden ist, doch für unsere Situation, als Antwort auf solche Angriffe, muss er wieder ein Kampftag werden. Ein Faschist nimmt 2 Menschen in Oslo das Leben, doch gemeint sind wir alle. Genau deswegen müssen wir überall Widerstand leisten und dürfen uns nicht von der Vereinnahmung des CSDs trügen lassen.

F: Worin sehr ihr aktuell die Aufgaben in dem Aufbau einer antikapitalistischen LGBTI+ Bewegung?

Die Menschen müssen sich organisieren. Die antikapitalistische LGBTI+ Bewegung kann nur aus sich selbstheraus wachsen, deswegen wurde Pride Rebellion auch gegründet. Der erste Schritt ist also getan. Wir müssen uns aktiv in die Klassenkämpfe einbringen und die Klassenkämpfe auch in den CSD einbringen. Der CSD ist zwar mitten auf der Straße und er sticht einem sofort ins Auge, wenn man ihn sieht, aber bringt sich trotzdem nicht in die Gesellschaft ein, weil er ein Safe Space sein möchte. Brechen wir aus unseren Safe Spaces heraus, überschreiten wir unsere eigenen Grenzen und stellen uns mitten ins Leben, egal was es uns entgegenschleudert. LGBTI+ waren viel zu lange dazu gezwungen sich zu verstecken, jetzt wird es Zeit, dass wir unseren Platz in den gesellschaftlichen Kämpfen einnehmen.


[1] Zum Zeitpunkt des Interviews befanden sich die Pflegekräfte noch nicht in der Tarifrunde. Doch für uns bleibt klar, um die Situation in der Pflege zu verbessern, müssen die Kämpfe noch weitergeführt werden.


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