Pride Rebellion

Wozu ist das ZDF Magazin Royale eigentlich gut? Ein Kommentar

In letzter Zeit gibt es viele Debatten um den öffentlich rechtlichen Rundfunk, die von den verschiedensten Fronten geführt wurden. Auf Twitter trenden regelmäßig Hashtags, die etwas mit den öffentlich Rechtlichen zu tun haben, als direkte Aufnahme des Inhalts der Sendung oder der „kritischen“ Auseinandersetzung mit eben dieser.

Es gibt Formate, die von rechtskonservativen Inhalten nur so strotzen und es gibt linksliberale Formate, deren Zielgruppe nicht eindeutig bestimmbar ist, weil die Inhalte breit aufbereitet werden.

Das ZDF Magazin Royale gehört ins letzere Feld. In den letzten Wochen hat es mit seinen kontrovers aufbereiteten Sendungen Debatten ausgelöst, die in der breiten Öffentlichkeit und auf den sozialen Medien viel diskutiert wurden. Der mit einer Comedy- oder auch Clownsbrille betriebene „investigative“ Journalismus Böhmermanns prägt aktuell auch politische Diskurse: Die NSU Akten, Kritik an der FDP und mit der neusten Sendung eben auch alles rund ums Thema transgender.

Zu den genauen Inhalten der Sendung kommen wir später, doch zuerst müssen wir uns der Rolle des ÖRRs bewusst werden.

Medienlandschaft Deutschlands

Die Medienlandschaft in Deutschland ist nicht divers, sie ist nicht neu oder erfinderisch und auch erst recht nicht revolutionär. 

Divers kann folgendes heißen:

    1. Die Moderator:innen, Gäste und Verantwortlichen für eine Sendung entsprechen alle dem Bild von Deutschen aus gutbürgerlichem Haus, die mindestens Ü30 sind.

    2. Die Meinungen, die im ÖRR geäußert werden sind immer dieselben, nur zwischendurch ergänzt durch einige linksliberale Stimmen. Wirklich links ist kein Inhalt.

Wenn wir die Öffentlich Rechtlichen betrachten, dann müssen wir uns auch immer die materiellen Umstände des ÖRRs anschauen:

Der Öffentlich Rechtliche Rundfunk ist nicht getrennt von der aktuellen Politik und Wirtschaft des Staates zu sehen. Es gab vermehrt Fälle, in denen namhafte Politiker:innen oder Pressesprecher:innen von Parteien mit Anrufen versucht haben, den Inhalt des ÖRRs zu bestimmen und damit auch, wie die Partei in der Öffentlichkeit rezipiert wird. So zum Beispiel Hans-Michael Strepp, der ehemalige Pressesprecher der CSU, der 2012 Redakteuren des ZDFs mit Konsequenzen drohte, wenn sie über den SPD Parteitag in Bayern berichten. Horst Seehofer ist Mitglied des ZDF Verwaltungsrates und der CSU Generalsekretär Alexander Dobrindt ist Mitglied des ZDF Fernsehrates, der über die Programmrichtlinie und die Einhaltung derer bestimmt. So sieht also die „Unabhängigkeit“ des ÖRR aus.

Dem ÖRR wird von rechtskonservativen und faschistischen Twittermobs vorgeworfen, Teil der linksradikalen Agenda, die auch von der Ampelregierung durchgesetzt wird, zu sein, während führende Mitglieder der Öffentlich Rechtlichen tatsächlich in der Politik sitzen – aber eben auch Rechte sind.

Wenn wir uns noch breiter mit der deutschen Medienlandschaft auseinander setzen, können wir auch mal schauen, wer in der Chefriege und wer in der Chefredaktion der größten deutschen Tageszeitungen sitzt:

Der Axel Springer Verlag beschäftigt in der Leitung Mathias Döpfner. Sein Privatvermögen wird auf über eine Millarde Euro geschätzt und er hat bereits viele hetzerische Texte gegen die linke Bewegung, unter anderem die Umweltbewegung, verfasst. Regelmäßig bedient er sich rechten Narrativen über die DDR, wie zum Beispiel 2021, als er den Bild (Tageszeitung des Axel Springer Verlags) Chefredakter Julian Reichelt als „letzten und einzigen Journalisten in Deutschland“ bezeichnet, der noch mutig gegen den „neuen, autoritären DDR-Staat“ aufbegehre. Fast alle anderen seien zu „Propaganda-Assistenten“ geworden. Wer steckt noch hinter der Springer Presse? Seit 2020 ist der US-Finanzinvestor Kohlberg Kravis Roberts größter Anteilseigner mit 3 Sitzen im Aufsichtsrat des Verlages, die auch schon 2006 ProSiebenSat.1Media übernommen haben.

Wir sehen also: die deutsche Medienlandschaft ist geprägt von Kapitalisten, die diese Medien nutzen, um bürgerliche Propaganda zu verbreiten. Deswegen sind hetzerische Darstellungen der Arbeiter:innenklasse (im Reality TV) oder von Hartz IV Empänger:innen (Arno Dübel, „frechster“ Arbeitsloser), rassistische Sketches (WDR Karneval Blackfacing), Antisemitismus und die Zuschreibung des Antisemitismus als etwas, was nur Araber:innen und Muslime in sich tragen und den Deutschen seit 1945 fremd ist oder eben auch LGBTI+ Feindlichkeit (Gender Gaga) keine Einzelfälle, sondern haben System.

Linker Lichtblick am Horizont?

Deswegen scheinen uns Formate wie „Die Anstalt“ oder auch das ZDF Magazin Royale als ein Segen im Fernsehen. Jedenfalls wenn man linksliberal ist. 

In diesen Formaten wird Journalismus über politische Brennthemen mit Humor verknüpft. Die Verknüpfung ist mal mehr mal weniger angebracht und der Humor mal mehr und mal weniger ansprechend. Neben üblichen Scheiße Witzen und Nazis sind doof Kommentaren findet man auch die ein oder andere Information auf einem Silbertablett präsentiert.

Zusammenhänge werden komödiantisch dargestellt, damit alle, die sie verstehen auch noch Spaß dabei haben. Doch gerade bei Jan Böhmermann finden sich wenig komplexe Zusammenhänge erklärt. Nimmt man die vielen Pointen, Klatschpausen und Musikeinlagen weg, reduziert sich der Inhalt der Sendung um die Hälfte. 

Vorneweg gesagt: Die Auseinandersetzung mit Politik kann auch lustig sein, wir können Scherze machen und Sachverhalte satirisch aufgreifen und gerade bei Jan Böhmermann hat man in letzter Zeit nicht das Gefühl, dass der Humor nach unten tritt. Doch die Journalistische Expertise weicht den flachen und immergleichen Witzen. Viele Erkenntnisse der Sendung lassen sich auch durch eine kurze Google Suche finden. Bahnbrechend neu ist nichts, was Böhmermann uns erzählt. Das wichtigste, was Böhmermann mit seiner Sendung erreichen kann ist die Öffentlichkeit. Gerade viele jüngere Zuschauer:innen zieht die Sendung sowohl im Fernsehen als auch im Streaming an: Im September haben sich 1,83 Millionen Zuschauer:innen die erste Sendung nach der Sommerpause angesehen. 

Das heißt, dass Böhmermann nicht neu und originell sein muss. Die breite Öffentlichkeit profitiert eigentlich schon von der bloßen Erwähnung und Erklärung politischer Inhalte. Nicht viele wissen, was LGBTI+ ausgesprochen bedeutet oder was Transgeschlechtlichkeit ist. Die zerkaute Erklärung wieder und wieder von den unterschiedlichsten Leuten bringt LGBTI+ Themen in das Auge der Öffentlichkeit. Wenn wir ehrlich mit uns sind, dann wissen viele Leute auf der Straße nichts damit anzufangen und einige sind aus Unkenntnis feindlich eingestellt, andere aus Überzeugung. Diejenigen, die sich noch nie damit auseinander gesetzt haben, aber abends in einer Fernsehsendung positiv davon gehört haben, werden jetzt ein anderes Bild von unserem Leben, unseren Problemen und den Gefahren für uns als LGBTI+ Personen haben. Ein etwas aufgeklärteres Bild. Diejenigen, die aus Überzeugung transfeindlich sind, werden wir nicht mit Worten erreichen können, egal wie bekannt, die Person ist, die diese Worte spricht. 

„Wer in Deutschland gegen trans Menschen hetzt | ZDF Magazin Royale“

Doch so wohlgemeint diese Folge ist, etwas stört doch daran. Die Witze in dieser Sendung folgen knallhart auf Zeitungartikelüberschriften, Zitate aus den psychologischen Gutachten, die das „Transsexuellengesetz“ (TSG) vorsieht und feindliche Aussagen aus dem ÖRR. Man hat eigentlich keine Zeit die Inhalte zu verdauen und richtig für sich einzuordnen, schon wird man überhäuft von Witzen über modische Erscheinungen und Scheiße. Manche der Inhalte sind schwer, sie sind traurig und sie machen wütend. Die Witze nehmen die Schärfe aus der Situation, machen die Schlagzeilen von Gewalt gegen trans Personen leicht verdaulich fürs Publikum oder eine Sekunde einzuräumen, in der das gesagte verarbeitet werden kann. Es scheint als würde sich das deutsche Fernsehen scheuen politische Themen anzusprechen, wenn sie nicht von 3 Lagen Witz begleitet werden. Die Satire-Lust der Deutschen ist hoch: Satire Shows erzielen hohe Zuschauerzahlen, sowohl im Fernsehen als auch im Streaming und die Satire Partei die PARTEI erreichte in den letzten Europawahlen von 2019 2,4%. Politik und Witz können gut zusammen funktionieren, wenn das herrschende System durch den Witz angegriffen, offengelegt und entlarvt werden kann, aber das finden wir im ÖRR selten bis nie. Vielmehr schaffen es die flachen Pointen die Dringlichkeit der Situation zu verdrängen. Trans Menschen verlieren ihr Leben auf der Straße, auch hier in Deutschland, weil sie angegriffen und getötet werden und das häuptsächlich von Faschisten. Sie bedrohen unsere Existenz. Warum?

„Weil, meine Damen und Herren, trans Menschen, allein durch ihre Existenz deren kleine Welt zum Einsturz bringen, denn trans Menschen müssen ihren eigenen Regeln folgen um ihren Platz in der Gesellschaft zu finden“(Jan Böhmermann, ZDF Magazin Royale vom 02.12.2022

Die Realität ist Folgende: LGBTI+ haben für das bürgerliche System eine zerstörerische Natur, weil sie den Stützpfeiler, die bürgerliche Kleinfamilie angreifen durch ihre bloße Existenz. Dieses System hält sich durch die Ausbeutung und Unterdrückung von Menschen 

aufrecht, weswegen eine Zerstörung dessen nur in unserem Sinne liegen kann. Um sich und seinen Stützpfeiler schützen zu können drängt es LGBTI+ an den Rand der Gesellschaft und leugnet deren Existenz. Wenn trans Menschen sich doch offen in dieser Gesellschaft zeigen, werden sie direkt angegriffen, unseren Platz finden, können wir so also nicht. Wir haben aber eine enorme Kampfkraft, mit der wir unsere Befreiung erkämpfen werden und das macht den Kaptalisten Angst. Deswegen greifen sie uns an, während sie uns an anderer Stelle Reformen anbieten, damit wir unseren Widerstand aufgeben.

Komik, Kontext, Inhalt

Viele Themen in der 30 Minütigen Sendung werden nur kurz angesprochen: Die Bundesregierung, die Verstrickung von russischen Oligarchen in Anti-LGBTI+ Netzwerken, der deutsche Gasdeal mit Katar. Alles wichtige Aspekte, die die Dauer von 30 Minuten Sendezeit allerdings sprengen, weswegen sie der Vollständigkeit halber erwähnt, aber nie ausgeführt werden. Die witzlastige Sendung erträgt es nicht, wenn nicht alle 30 Sekunden ein Schenkelklopfer den nächsten jagt.

Die Hauptlast der Kritiken gehen aber gegen Frauen. Wohlgemerkt sind das Faschistinnen, Konservative und Transfeindinnen, aber das Bild was gezeichnet wird ist folgendes: Die „cis“ Frau, die sich von trans Menschen bedroht fühlt betreibt Hetze gegen diese. Die vielen männlichen Faschisten und Transfeinde finden wenig Bemerkung und so bleibt der Kontext der Transfeindlichkeit unklar: Frauen sind nicht einfach transfeindlich nur weil sie sich mit ihrem Geburtsgeschlecht identifizieren und sich angegriffen fühlen. Diese erwähnten Frauen sind nicht fortschrittlich und sind, egal ob sie sich Feministinnen nennen oder nicht, nicht die Trägerinnen der Frauenrevolution, der Befreiung der Frau und der anderen unterdrückten Geschlechter. 

Häufig gibt es Anschuldigungen gegen die „böse cis Frau“, ohne weitere Faktoren, wie Klasse oder politische Orientierung miteinzubeziehen. Die Fortschrittlichkeit eines Menschen basiert nicht darauf, wie unterdrückt dieser Mensch ist, sondern wie sehr dieser Mensch für die Befreiung aller Menschen kämpft. Zugegeben viele Frauen sind transfeindlich, aber so verhält es sich mit dem Rest der Menschheit. Die Frau ist nicht das Geschlecht, dass uns unterdrückt, sie wird gemeinsam mit uns unterdrückt, nur hat sie aufgrund unserer Produktionsverhältnisse, im Gegensatz zu uns noch eine Stellung in der Gesellschaft und auch das war lange nicht der Fall.

Wir müssen Transfeindlichkeit entschlossen bekämpfen, aber wir müssen bei dem Kampf eine wichtige Unterscheidung machen: kämpfen wir gegen unsere politischen Feinde (Kapitalisten und Faschisten) oder bekämpfen wir die Transfeindlichkeit in unseren politischen Verbündeten (proletarische Frauen)?

Die proletarische Frau ist unsere Verbündete, weil sie in der Lage ist die Fesseln des Patriarchats und der bürgerlichen Kleinfamilie zu sprengen, sowie als Teil der Arbeiter:innenklasse der Ausbeutung ein Ende setzen kann. Als LGBTI+ Personen nehmen wir diesem Kampf eine wichtige ideologische Rolle ein, die die Befreiung aller Geschlechter garantieren kann. Dafür dürfen wir uns aber nicht von unseren Verbündeten abspalten und diese auch noch bekämpfen, sondern uns gemeinsam auf unsere politischen Feinde konzentrieren.

Bleiben wir zu ernst?

Die breite Öffentlichkeit debattiert stark über diese Sendung und das 13 Stunden nachdem sie erstausgestrahlt wurde. Viele sehen in dieser Sendung das was man braucht, um entschieden Transfeindlichkeit gegenüberzustehen. Oder ein Format, auf das man verweisen kann, wenn einem die Fragen wieder zu viel werden. Doch wirkliche Antworten gibt der ÖRR nicht, wie gesagt er ist weder neu noch revolutionär. Es fehlt die Perspektive und die Ernsthaftigkeit unseres alltäglichen Kampfes in einer heterosexistischen Welt. Die Sendung ist anschaulich und manche Witze auch wirklich lustig, aber sie ist keine Kampfansage an die fehlende Meinungsfreiheit im ÖRR, an die LGBTI+ feindliche Politik oder Faschisten. Das muss sie aber auch nicht sein. Sie kann ein leichter Einstieg ins Thema für knapp 2 Millionen Menschen an einem Freitagabend sein, aber unsere politische Perspektive werden wir nicht darauf aufbauen. Die Sendung taugt allerhöchstens als einfachste Ressource im politischen Kampf. 

Wir müssen uns ernsthaft mit transfeindlicher Gewalt auseinandersetzen und die Tiefe des Systems entlarven, wenn wir wollen, dass wir als LGBTI+ Personen frei und selbstbestimmt leben können. Für die tiefergehende politische Auseinandersetzung und die Arbeit gibt es politische Organisationen und unabhängige politsche Tages- und Onlinezeitungen. Dafür müssen wir selber aktiv werden und können uns nicht darauf verlassen, dass ein Satireprogramm diese Arbeit für uns übernimmt. So zermürbend die tägliche Auseinandersetzung mit Heterosexismus auch sein kann, so wunderschön ist die Perspektive auf unsere Befreiung. In der Zwischenzeit können wir auch ruhig das ZDF Magazin Royale schauen, wenn wir unser eigentliches Ziel dabei nie aus den Augen verlieren.

Für alle, die die Folge nicht kennen ist hier der Link.


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