Die diesjährige Pride Saison hat gerade erst richtig angefangen und da lesen wir schon in den Schlagzeilen: „Rechtsextreme stören CSD Dresden“ oder „Das ganze Wochenende kam es beim Pride immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen gegen CSD-Teilnehmer“. Gleichzeitig geht auf TikTok ein Video viral, in dem reiche Jugendliche in einem Sylter Bonzen-Club rassistische Parolen zur Musik brüllen. Spätestens ein Blick auf die Umfrage der AfD, Jugendwahl in Sachsen und die Ergebnisse in der Kommunalwahl in Thüringen zeichnen ein eindeutiges Bild: Die faschistische Gefahr ist längst keine Floskel mehr, sondern eine reale Bedrohung. Was bedeutet das für uns junge LGBTI+? Vor welche Aufgaben stellt uns dieser Pride Month?
Pride Month und CSDs 2024 – Was können wir erwarten?
Mit diesen Schlagzeilen setzt sich ein Trend, der sich bereits im letzten Jahr gezeigt hat, weiter fort: 2023 gab es auf fast jedem CSD LGBTI+-feindliche Pöbeleien und Angriffe. Dabei waren die Täter keine Einzelpersonen, sondern in der Regel organisierte faschistische Gruppen. Obwohl die Anzahl der Angreifer gegenüber den CSD-Teilnehmer:innen verschwindet klein waren, war die Gegenantwort auf die faschistischen Bedrohungen meist schwach.
2024 sind wir alle vorbereiteter auf die faschistischen Angriffe, allerdings dürfte auch das Selbstbewusstsein der Faschisten seit dem vergangenen Jahr eher gestiegen als geschumpft sein. Die Erfahrungen aus der letzten CSD-Saison, der allgemeine Rechtsruck in Gesellschaft und Politik, die Landtagswahlen in mehreren ostdeutschen Bundesländern – nach Gründen für einen Rückzug der Faschisten klingt das nicht gerade. Den besorgniserregenden Auftakt dafür hat eine Gegenkundgebung der „Elblandrevolte“ (Die Jugendorganisation der NPD in der Region) zum CSD in Dresden mit rund 90 Teilnehmer:innen gemacht.
Als Antwort auf die steigende rechte Bedrohung wird in Politik und Medien immer wieder eine höhere Polizeipräsenz auf CSDs gefordert. Aber dass das auch nicht die Lösung sein kann, hat erst der CSD in Hannover am 18.05. wieder eindrücklich gezeigt: Hier schützten die Beamten nämlich nicht nur den CSD vor diskriminierenden Angriffen, wie es so oft geschrieben wird. Sondern sie räumten auch unter Einsatz von Gewalt die Besetzung eines seit 10 Jahren leerstehenden Hauses am Rande des CSDs und attackierte CSD-Teilnehmer:innen, die sich mit der Besetzung solidarisierten, mit Schlagstöcken und Pfefferspay. In der Hausbesetzung ging es neben dem Protest gegen die städtischen Kürzungen im Bereich Kultur und Soziales auch darum, einen Freiraum und Zufluchtsort für LGBTI+ zu schaffen.
Und sind wir auch abgesehen von diesem konkreten Fall mal ehrlich: Sollen wirklich dieselben Polizisten, die in rechtsextremen Chatgruppen Gewaltfantasien austauschen, unsere CSDs beschützen?
Mehr Polizei auf dem CSD bedeutet nichts anderes als die begrenzende Erlaubnis, nach den Regeln eines immer repressiveren, immer rechter werdenden Staates spielen zu dürfen, statt für unseren eigenen Ruf nach Befreiung zu protestieren.
Deutschland – Ein Einzelfall?
Ähnliche Erfahrungen wie hier in Deutschland teilen LGBTI+ Personen auch in anderen Ländern. Weltweit gewinnt reaktionäres und faschistisches Gedankengut in Politik und Gesellschaft an Einfluss. LGBTI+ gehören mit den zu den ersten, die das zu spüren bekommen. Und auch liberale Regierungen sind keine Garantie für Sicherheit von LGBTI+ auf den Straßen. Genau das erleben wir ja gerade in Deutschland oder auch in Frankreich oder Belgien.
Viele unserer LGBTI+ Geschwister weltweit gehen den Pride Month aber unter noch viel schwierigeren Bedingungen an: In Seoul (Südkorea) wurde der CSD kurzerhand von der Stadt verboten. In der Türkei und Nordkurdistan erleben LGBTI+ Jahr um Jahr das Verbot ihrer Demonstrationen und schwere Polizeigewalt. In mehren afrikanischen Ländern wurden in den vergangenen Monaten Gesetze erlassen, die LGBTI+ Sein und Aktivismus für LGBTI+ unter Strafe stellen. Um nur einige Beispiele zu nennen.
Was macht es mit uns, von der Lage unserer LGBTI+ Geschwister weltweit zu hören? Oft wird uns gesagt, wir sollten dankbar dafür sein, dass die Lage von LGBTI+ von uns in Deutschland so gut sei. Aber hat Dankbarkeit, hat ein „aber anderen geht es noch viel schlechter“, jemals jemanden befreit? Nein, das hat es nicht. Vielmehr soll diese Dankbarkeit dafür sorgen, dass wir uns mit den Umständen zufrieden geben, statt für eine bessere Welt zu kämpfen.
Die Unterdrückung von LGBTI+ weltweit sollte uns wütend machen. Und wir haben die Aufgabe, diese Wut hier, bei uns in Deutschland, in etwas Konkretes umzuwandeln.
Wer steckt unsere LGBTI+ Geschwister in unmenschliche Lager und schiebt sie ab, wenn sie fliehen? Der deutsche Staat und die EU.
Wer hat das iranische Regime technologisch aufgerüstet, um Frauen, LGBTI+ und alle Regierungsgegner zu verfolgen? Deutsche Unternehmen wie Siemens.
Wer finanziert ultra-konservative Krichenverbände, die in Uganda einen Feldzug gegen LGBTI+ führen? Freikirchen aus den USA oder Deutschland.
Statt dankbar zu sein für ein relatives Maß an Freiheit sollten wir gegen die, die unsere LGBTI+ Geschwister international unterdrücken, verfolgen und ausbeuten, auf die Barrikaden gehen.
Uns fehlt der Mut dazu? Schauen wir doch gerade dorthin, wo die Lage von LGBTI+ besonders schwierig ist. Tausende auf den Straßen trotz Demonstrationsverbote, geheime Treffen von LGBTI+, um der Verfolgung auszuweichen. Schöpfen wir daraus Mut. Gerade der Pride Month sollte ein Aufruf an uns sein, wütend, mutig und entschlossen zu sein.
Im Pride Month und darüber hinaus: Antifa heißt Angriff!
Nicht nur der Blick in Welt gibt uns Grund zu Wut, Mut und Entschlossenheit. Gehen wir von den verbotenen Pride Demonstrationen in Istanbul gedanklich wieder zurück zum Pride in Deutschland. Zu den CSDs voller Unternehmen und Politiker:innen, zu den Wahlergebnissen der AfD, zum pöbelnden Dritten Weg am Rande der Pride Parade und dem Alltag als LGBTI+ in Deutschland. Was hält dieser Pride Month für uns bereit?
Die Zeichen der Zeit stehen für alle, aber gerade auch für uns als junge LGBTI+ auf Antifaschismus. Aber nicht der floskelhafte Antifaschismus, den uns eine Ampel-Regierung verkaufen möchte, während sie selbst die Forderungen der AfD in die Tat umsetzt. Was wir brauchen ist ein Antifaschismus aus unserer eigenen Hand. Einer der aufzeigt, dass wir uns auf den Staat nicht verlassen können. Dass wir unsere Anliegen als LGBTI+ auch von einer liberalen Regierung nicht instrumentalisieren lassen, um Krieg zu führen oder Abschiebungen zu planen. Einer, der den Faschisten keinen fußbreit die Straße überlässt. Und einer, der sich mit all den Antifaschist:innen solidarisiert, die für ihre Angriffe auf Faschisten vom Staat verfolgt werden.
Wir können es uns nicht mehr leisten, CSDs in erster Linie als einen Ort des Feierns, Austauschs und Beisammen-Seins zu sehen. Der CSD ist ein Ort des Widerstands, der aktiv gegen die Bedrohung durch Faschisten, aber auch vor der heuchlerischen Vereinnahmung durch bürgerliche Parteien und Großkonzerne, die LGBTI+ alle nur für ihr eigenes Image benutzen, verteidigt werden muss.
Wie können wir unsere eigenen Forderungen auf den CSD tragen? Wie können wir auch eigene, politischere Aktionen schaffen, auf denen wir unsere Themen setzen können? Wie verteidigen wir uns und andere LGBTI+ vor faschistischen Angriffen? Das sind Fragen, die wir uns diesen Pride Month stellen müssen.
Ein wichtiger Moment dafür in diesem Pride Month wird der AfD-Bundesparteitag in Essen Ende Juni sein. Diese Versammlung der größten faschistischen Partei Deutschlands ist eine Kriegserklärung an LGBTI+, Migrant:innen, Frauen und alle, die für ein freies, selbstbestimmtes Leben einstehen. Es wird zahlreiche Proteste gegen den Parteitag geben, in denen auch wir als junge LGBTI+ unseren Platz einnehmen müssen. Was wäre mehr im Geiste des Pride Months als sich diesem Parteitag in den Weg zu stellen?
Generell heißt es in diesem Pride Month, in dieser CSD Saison und darüber hinaus, eine entschlossene und aktive Haltung als LGBTI+ gegen den Faschismus einzunehmen. Und das nicht nur im Gefühl, nicht nur im Internet, nicht nur alleine oder mit unseren Freunden. Nicht unter der Fahne einer Ampel-Regierung, eines Vereins oder Konzerns, der heute Antifa sagt, und morgen dem Faschismus den Hof bereitet. Sondern gemeinsam auf der Straße unter dem Banner unserer eigenen Forderungen und unserer eigenen Vision von Befreiung – für uns in Deutschland, aber auch für unsere LGBTI+ Geschwister international.
Pride Month heißt Widerstand. Und Widerstand heißt: Antifa heißt Angriff – We Bash Back!