Pride Rebellion

Erklärung zum SBGG

„Jeder kann sein Geschlecht jetzt einfach so ändern!“

Diese Aussage hat im letzten halben Jahr Schlagzeilen gemacht. In Sozialen Medien, Talkshows, im Bundestag, und vielleicht sogar am Frühstückstisch. Hinter all den Schlagzeilen und Diskussionen steckt der Entwurf für das neue sogenannte „Selbstbestimmungsgesetz“. Das Selbstbestimmungsgesetz soll die Änderung des Geschlechtseintrags sowie des Vornamens für trans-, inter-, und nichtbinäre Personen regeln und das bisher gültige „Transsexuellengesetz“ ersetzen, das sowohl veraltet als auch zutiefst transfeindlich ist. Nach jahrelanger Diskussion  wurde der Gesetzesentwurf zum Selbstbestimmungsgesetz nun tatsächlich am 23.August.2023 im Kabinett beschlossen und wird seitdem diskutiert. In dieser Erklärung wollen wir analysieren, was dieses Gesetz konkret für LGBTI+ Personen in Deutschland bedeutet, und vor was für Aufgaben es uns als Bewegung stellt. Außerdem wollen wir darüber sprechen, wie echte Selbstbestimmung für uns aussehen kann.

Zunächst einmal beschäftigen wir uns mit dem genauen Gesetzesentwurf,  der im August letzten Jahres beschlossen wurde.

1. Das Gesetz sieht eine Änderung des Personenstandes (Geschlechtseintrag sowie Vorname) über eine einfache Erklärung beim Standesamt vor. Das ist ein großer Unterschied zum bisher gültigen Transsexuellengesetz, nach dem man zwei psychologische Gutachten, und ein Gerichtsverfahren benötigt, um eine Änderung des Geschlechtseintrags zu beantragen. Diese Änderung ist die einzige nennenswerte positive Eigenschaft, die das Gesetz mit sich bringt.

2. Grundsätzlich ist es auch für Minderjährige möglich, das Selbstbestimmungsgesetz zu nutzen, allerdings brauchen sie dafür die Zustimmung der Eltern. Minderjährige unter 14 Jahren können die Erklärung noch nicht alleine abgeben, über 14-Jährige hingegen schon. In beiden Fällen müssen die Eltern die Erklärung unterzeichnen. Zwar sollen Familiengerichte die Zustimmung der Eltern ersetzen können, aber als Minderjährige:r einen solchen Prozess gegen die eignen Eltern zu führen, auf die man in aller Regeln materiell angewiesen ist, ist kaum zu bewältigende Herausforderung. Doch nicht nur Minderjährige sind auf die Zustimmung Dritter angewiesen: Auch Menschen, die z.B. aufgrund einer Behinderung auf eine:n gesetzliche:n Betreuer:in angewiesen sind, können Anträge nur mit deren Zustimmung stellen.

3. Nach der Änderung des Geschlechtseintrags gilt eine einjährige Sperrpflicht. Das bedeutet, dass erst ein Jahr vergehen muss, bis eine neue Änderung beantragt werden kann. Laut Bundesregierung helfe eine Sperrfrist dabei, die Entscheidung zur Änderung des Geschlechtseintrags wohlüberlegt zu treffen. Die Realität ist, dass solch eine Änderung des Geschlechtseintrags mit Anfeindungen im Alltag, respektlosen und übergriffigen Kommentaren, oder sogar körperlicher Gewalt einhergeht. Keine LGBTI+ Person trifft diese Entscheidung leichtfällig.

4. Über viele Bereiche des alltäglichen Lebens soll nicht das Selbstbestimmungsgesetz entscheiden, sondern die jeweilige Landesregierung. Das betrifft zum Beispiel die Zulassung für Wettkampf- oder Vereinssport. Gerade dieses Thema wird oft ins Zentrum der Debatten gerückt. Dann heißt es „Männer schlagen Frauen im Frauensport“, und es wird auf die sportliche Fairness gepocht. Abgesehen davon, dass diese Debatten durchzogen von Transfeindlichkeit sind, ist die Teilnahme am Profi- bzw. Wettkampfsport nur für einen Bruchteil aller trans-, inter-, und nichtbinären Personen relevant. Schnell wird klar: Den meisten Kritiker:innen geht es nicht wirklich um sportliche Fairness, sondern lediglich darum, Hetze gegen trans Personen zu schüren.

5. Weiterhin gilt das geltende Hausrecht. Somit kann zB trans Frauen weiterhin der Zugang zu Frauentoiletten, Umkleiden, etc verwehrt werden. Auch dieses Thema gerät häufig in den Mittelpunkt. Es wird die Behauptung aufgestellt, dass Männer sich jetzt einfach per Selbstbestimmungsgesetz als Frauen ausgeben können, um so Zugang zu Schutzräumen für Frauen zu bekommen. Die Realität spricht eine andere Sprache: der Ort, an dem Frauen die meiste Gewalt erfahren, ist das eigene Zuhause. Häusliche Gewalt ist Alltag, und um Gewalt an Frauen auszuüben, müssen Männer nicht extra ihren Geschlechtseintrag ändern lassen. Jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau ermordet und nur 2022 wurden fast 12.000 Vergewaltigungen und sexuelle Nötigungen polizeilich erfasst. Doch anstatt wirklich etwas gegen Gewalt an Frauen zu unternehmen, suchen Rechte und Bürgerliche das Problem lieber bei LGBTI+ Personen. Das Pochen auf das Hausrecht ist nicht nur unnütz beim Schutz von Frauen vor Gewalt, sondern setzt gleichzeitig trans Personen noch mehr transfeindlicher Gewalt aus.

6. Die personenbezogenen Daten aller Nutzer:innen des Selbstbestimmungsgesetzes werden an das Landeskriminalamt, Bundeskriminalamt, sowie an den Verfassungsschutz und die Polizei, also sämtliche Repressionsbehörden weitergegeben. Bei Migrant:innen wird zusätzlich noch das Bundesamt für Migration und Flucht informiert. Das liefert eine perfekte Grundlage, um migrantische LGBTI+ problemlos abzuschieben. Ihre Personenstandsänderung wird in diesem Fall ungültig erklärt.

8. Wenn Deutschland Krieg führt, wird der sogenannte „Verteidigungsfall“ ausgerufen. Dabei bleibt die amtliche Zuordnung zum männlichen Geschlecht bestehen. Das heißt konkret: eine trans Frau oder eine nichtbinäre Person wird zum Kriegsdienst verpflichtet, wenn sie ihren Antrag weniger als zwei Monate vor dem „Verteidigungsfall“ eingereicht hat. Wenn man also dem deutschen Staat als Kriegswaffe dienen kann, ist Selbstbestimmung auf einmal doch nicht so viel wert.

7. Es gilt ein sog. „Offenbarungsverbot“. Das bedeutet, dass aus Schutz vor einem Zwangsouting nicht über den alten Geschlechtseintrag bzw. Vornamen in Dokumenten etc. geforscht werden darf. Allerdings wird das Offenbarungsverbot aufgehoben, sobald Personen straffällig werden oder abgeschoben werden sollen. Wenn man sich weigert, sich den Gesetzen des deutschen Staates zu fügen, oder abgeschoben werden soll, ist Selbstbestimmung auf einmal doch nicht so viel wert.

Bei diesem Gesetzesentwurf wird offensichtlich: Selbstbestimmung ist für die bürgerliche Regierung vor allem eins: ein Image, welches sie jederzeit wieder wechseln können. Wie ein neuer Pullover, der gerade im Trend ist, der aber jederzeit wieder aus dem Trend fallen kann. Als junge LGBTI+ sind wir momentan nichts weiter als ein Spielball für die bürgerliche Politik. Vor allem zwischen der immer stärker werdenden AfD und der liberalen Ampel-Regierung, die sich als fortschrittlich inszenieren möchte. Doch für sie steht natürlich immer noch das Kapital an erster Stelle. Wird die kapitalistische Ordnung in irgendeiner Weise angegriffen, ist es auch ganz schnell vorbei mit der „Selbstbestimmung“.

Wenn wir uns den Kampf um andere Reformen unserer Bewegung, z.B. die Ehe für Alle, anschauen, dann blicken wir auf einen sehr langwierigen Kampf. Unsere Geschwister haben ein ganzes Jahrhundert für die Legalisierung von Homosexualität und gleichgeschlechtlichem Sex gekämpft.

Erst 1994 wurde der Paragraph §175 StGB gestrichen, der homosexuelle Handlungen seit dem Kaiserreich verboten hatte. Seit den 80ern werden Forderungen nach der gleichgeschlechtlichen Ehe laut, es werden Gesetzesentwürfe vorgestellt, Gesetzesentwürfe gekippt. Es wird vor Homosexuellen gewarnt, sie seien eine Gefahr für Kinder, und Kinder sollten damit besser nichts zu tun haben (Diese Entwicklung können wir heute auch bezogen auf trans Personen beobachten). Erst 2017 stimmt der Bundestag endlich für die Ehe für Alle. Dieser Kampf zeigt uns, wie zäh solche Prozesse sein können. Das Selbstbestimmungsgesetz soll nach aktuellem Stand erst im November 2024 in Kraft treten. Es ist gut möglich, dass das Selbstbestimmungsgesetz nicht mehr in dieser Wahlperiode durch den Bundestag beschlossen wird. Wir haben es aktuell mit einer sehr starken rechten Opposition zu tun, die bereits angekündigt hat, rechtlich gegen das Gesetz vorzugehen. Durch eine deutlich rechtere Regierung in der nächsten Wahlperiode könnte das Gesetz komplett gekippt werden. Wie wir sehen, ist noch nichts in trockenen Tüchern, und auch hier müssen wir uns auf einen zähen Kampf einstellen. Ein Grund mehr, nicht auf die Bundesregierung zu vertrauen, sondern die Sache selbst in die Hand zu nehmen!

Doch wenn das neue Gesetz der Bundesregierung keine wirkliche Selbstbestimmung bringt, was tut es dann?

Ja, dieses Gesetz ist eine Reform, die wir uns erkämpft haben. Doch die Geschichte zeigt uns, dass uns sämtliche erkämpfte Reformen jederzeit wieder genommen werden können, wenn wir keinen langfristigen Kampf führen. Daher ist das Selbstbestimmungsgesetz für uns lediglich einer der ersten Schritte auf dem Weg zur geschlechterbefreiten Gesellschaft. Um die restlichen Schritte zu gehen, müssen wir uns langfristig und revolutionär organisieren!

Das Selbstbestimmungsgesetz ist nämlich auch ein Appell an uns als LGBTI+ Bewegung, den Weg dieser revolutionären Organisierung einzuschlagen. Uns muss klar sein, dass dieses Gesetz, wenn es überhaupt durchkommt, nicht einmal das Mindeste ist! In vielen Teilen der Welt werden LGBTI+ Personen immer härter verfolgt oder sogar getötet. Unsere Existenz wird auf der ganzen Welt, auch in Deutschland, immernoch geleugnet. Für uns als Bewegung wird es immer wichtiger, uns durch reformistische Entscheidungen nicht den Wind aus den Segeln nehmen zu lassen, sondern eine klare Perspektive zu haben. Die, die unsere Existenz schon vor dem Selbstbestimmungsgesetz geleugnet haben, werden sich daran machen, unserem Kampf die Legitimität zu entziehen. Sie werden uns fragen: „Was wollt ihr denn noch?!“ Auch gegenüber dieser Entwicklung müssen wir uns als Bewegung in Zukunft behaupten können.  Das sind die wichtigsten Aufgaben, die wir als Bewegung vor uns haben.

Selbstbestimmung ist mehr als ein Lippenbekenntnis!

Jede Person hat ein Recht auf Selbstbestimmung. Egal ob körperlich, psychisch, oder geschlechtlich. Das bedeutet, jede Person hat das Recht darauf, diese Selbstbestimmung mit Schutzmechanismen bzw. Selbstverteidigung zu garantieren. Zum Beispiel, bei einem sexuellen Übergriff wird das Recht auf körperliche Selbstbestimmung eingeschränkt, das bedeutet, die betroffene Person hat ein Recht auf Selbstverteidigung. Außerdem hat jede Person das Recht zur Selbstidentifikation. Jede Person hat das Recht darauf, entsprechend ihrer Geschlechtsidentität behandelt zu werden. Das verstehen wir grundlegend unter Selbstbestimmung.

Da der Staat uns nicht schützen wird, ist es umso wichtiger, dass wir uns gegenseitig helfen. Doch wie bereits gesagt, ist es notwendig einen kontinuierlichen Kampf für unsere Befreiung zu führen. In diesem Kampf werden wir uns Stück für Stück unsere Rechte erkämpfen. Es ist wichtig, dabei jede Reform mit revolutionärem Blick zu betrachten. Wenn sie uns dann fragen „Was wollt ihr denn noch, habt ihr nicht schon genug?!“ dann werden wir sagen „Nein, wir kämpfen bis alle unsere Geschwister frei sind! Bis unsere Körper auch wirklich uns gehören, und uns niemand mehr unsere Rechte nehmen kann!“

Organisieren wir uns in Pride Rebellion um den Kampf für eine geschlechterbefreite Gesellschaft zu gewinnen! One Solution – Revolution!


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